Auf fremdem Land - Roman
langsam aufwachte, dachte Gabi über Meschulams Arbeit nach. Er mochte das schmarotzerhafte Element daran nicht; dass der Staat Israel Vertreter herumschickte, die wie Aasgeier über menschlichen Kadavern kreisten oder, noch schlimmer, über lebendigen Menschen, während man wartete, dass sie Kadaver wurden, um im Sturzflug hinunterzutauchen und das, was sie im Augenblick des Verendens hinterließen, zu verschlingen. Es hatte etwas Verstörendes, dieser kalt durchdachte Prozess, bei dem man Todeskandidaten ausfindig machte, sich ihr Erbe sicherte, auf ihren Tod wartete. Andererseits, sann er, investierten sie Aufmerksamkeit und Wärme, die kinderlosen Menschen am Ende ihres Weges fehlten. Auch wenn das Motiv egoistisch war, es ging dennoch um Wärme und Aufmerksamkeit, die niemand sonst ihnen schenkte, und wer sagte denn, dass die Wärme und Aufmerksamkeit von der üblicheren Sorte, von Familienmitgliedern oder Freunden, weniger egoistischen Beweggründen entsprangen.
Sie fuhren am Morgen weiter, bei strömendem Regen. Gabi liebte Regen, doch eine solche Masse fand er übertrieben, noch dazu im Juni. Meschulam sagte lächelnd, das sei normal in diesem Teil Amerikas, manchmal gebe es auch Hurrikane, was noch viel verrückter sei. Sie fuhren langsam, nachdenklich und in sich versunken, die Scheibenwischer bewegten sich geräuschvoll und heftig hin und her, der Regen trommelte auf das Blech.
Nach einer weiteren Nacht im Motel erreichten sie Meschulams neues Zuhause. Der Vorarbeiter rief an und sagte, dass stürmisches Wetter den Lastwagen aufgehalten habe und er nicht vor dem Abend eintreffen würde, und so mussten Gabi und Meschulam einen ganzen Tag in einem leeren Haus warten. Hollywood, Florida, erinnerte Gabi wirklich an den Kibbuz. Der Gegensatz zu New York verblüffte ihn. Vor jedem Haus gab es ein gepflegtes Rasengeviert, die Häuser selbst waren schlicht, aber geräumig. Der Sturm war vorüber, vielleicht war er in diesen Teil Floridas überhaupt nicht vorgedrungen, und es war der strahlendste Sonnentag, seit er in Amerika gelandet war. Er saß auf einem Liegestuhl, den jemand in Meschulams Garten zurückgelassen hatte, und trank Kaffee aus einem Pappbecher, den Menschulam um die Ecke geholt hatte.
Meschulam drehte mit ihm eine Runde im Viertel. Er stieg mit ihm in den Chevrolet, und drei Minuten später sah Gabi die schönste Meeresfarbe, die er jemals gesehen hatte, ein tiefes, berauschendes Türkis, und die langen weißen Strände, und die Mädchen … Er zog die Hose aus und ging in der Unterhose ins Wasser, und er konnte kaum glauben, wie angenehm und vertraut es sich anfühlte, als es ihn umschloss. Wie im Kibbuz? Tot und begraben, der Kibbuz. Das war hundertmal besser – wie der Kibbuz, aber ohne die komischen Blicke im Speisesaal und mit der schönsten Küste, die man je im Leben gesehen hatte, bei allem Respekt für den See Genezareth.
Er legte sich auf den Sand und sagte: »Das ist ein Paradies, Meschulam. Das war mein Traum, wenn ich vom Ausland geträumt hab. Nicht von einer Million Menschen und Hochhäusern, in denen ich mit Möbeln rauf- und runterlaufe.«
Meschulam lächelte. Er nahm ihn zum Essen in ein Restaurant am Strand mit, und als sie nach Hause zurückkamen, zeigte er ihm die kleine Wohneinheit, die an das Haus angeschlossen war. Sie hatte einen separaten Eingang, ein kleines Zimmer mit einer Kochnische und Toilette.
»Ich habe daran gedacht, diese Einheit zu vermieten, was meinst du?«, fragte Meschulam. Er wollte eigentlich nur wissen, was Gabi von der Idee, sie zu vermieten, und von der Wohnung generell hielt.
Doch Gabi sagte: »Ich nehme sie.«
Meschulam blickte ihn überrascht an. »Was nimmst du?«
»Ich möchte hier wohnen«, antwortete Gabi.
Meschulam lachte. »Ist das dein Ernst?«
»Vollkommen.«
»Und was wirst du machen?«
»Brauchst du nicht einen Helfer?«
Die Bar
Während sein Bruder in die USA und viele seiner Freunde in den Fernen Osten und nach Südamerika reisten, blieb Roni in Tel Aviv. Für ihn war das weit genug. Er war fast aus Zufall dorthin geraten: Er begann mit einem Mädchen aus Ra’anana auszugehen, einer Studentin der Betriebswirtschaft und Philosophie an der Universität Tel Aviv, deren Vater ein Büro in einer Wohnung in der Schlomo-Hamelech-Straße mit einem freien Zimmer hatte, und die Freundin schlug Roni vor, sich das Zimmer anzueignen. Während der Arbeitsstunden teilten sie sich die Wohnung mit den Büroangestellten. Da Roni sich nicht
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