Auf fremdem Land - Roman
glaube, ich habe davon gehört. Ich werde nachforschen. Kein Problem. Wo ist das?«
Jennifer rief wieder an. Als sie endete, sagte sie: »Judäa und Samaria.« Gabi nickte mit einem leicht überraschten Lächeln, und in seinem Kopf tauchte plötzlich die Siedlung Ofra auf, zu der er vor Jahren in dem Susita gelangt war, auf seiner Flucht aus dem Kibbuz. Das einzige Mal, dass er in den besetzten Gebieten gewesen war.
Irwin sagte: »Oi, sag jetzt bloß nicht … sind das diese verrückten Siedler aus Brooklyn?« Gabi mochte Irwin. Mit seinen dicken Augenbrauen und seinem gewinnenden Lächeln erinnerte er ihn an den Schauspieler Elliott Gould, nur mit Bart. Er musterte Jenny vorsichtig. Die Bemerkung ihres Boyfriends störte sie nicht.
»Sie wollen also einen Wald kaufen und ihn auf Ihren Namen stiften?«, fragte Gabi, womit er ihr eine letzte Fluchtmöglichkeit ließ. Sie nickte lächelnd. Ihre blauen Augen schwammen ein wenig vom Wein, und Gabi konnte nicht sagen, ob sie mit ihm flirtete – von solchen Dingen hatte er nie etwas verstanden –, also wandte er seinen Blick verlegen Irwin zu, der mit den Augen rollte und die Achseln zuckte. »Sicher, ich werde mich darum kümmern«, sagte Gabi und trank mit einem Schluck den Rest seines Weins aus.
Sie luden ihn ein, im Gästezimmer zu übernachten, doch in diesem Stadium war er von Jennifers blauen Augen und den dichten Brauen des Boyfriends bereits endgültig verwirrt, und außerdem hatte Meschulam zu ihm gesagt, man solle bei Kontakten mit den Stiftern nie die Grenze der Korrektheit überschreiten, und er befürchtete, sie schon übertreten zu haben. Als sie ihm vorschlugen, ihn ins Hotel zu bringen, sagte er: »Aber wieso denn. Sie wohnen hier, Sie gehen nach Hause. Ich komme schon zurecht.« Sie ließen ihn schwören, ein Taxi zu nehmen, und er schwor es, doch erst wolle er ein paar Minuten durch die Straßen spazieren, das Essen verdauen und sich die große Stadt ansehen. Sie verabschiedeten sich mit Umarmungen, und Gabi ging eine ganze Weile, Block um Block, Leute, Autos, gelbe Taxis und Lokale. Er wollte das Summen in seinem Kopf beruhigen, doch es verstärkte sich, der Wein pochte in seinen Schläfen, seine Augen und sein Gehirn waren weit offen gegenüber der Menge ungewohnter Reize. Schließlich sah er eine Subway-Station, ging die Treppen hinunter, löste eine Fahrkarte und stellte sich an den Bahnsteig. Er hatte nichts gegen Taxis, aber er genoss die New Yorker Erfahrung einfach und wollte sie mit einer Fahrt mit der Untergrundbahn abrunden. Er stand am Bahnsteig, und ein Riesengetöse brauste aus dem Schlund der Röhre daher, mit einem Schwall explodierender Lichter, mit Rattern und Tosen, eine unverständliche Durchsage schepperte aus verborgenen Lautsprechern, der silberfarbene Zug verlangsamte, die Türen sprangen auf, und aus dem Waggon vor ihm stieg mit vorsichtigem Schritt Anna.
Die Überraschung
Sie kam, als er sie nicht erwartet hatte, als er auf nichts achtete. Sie erwischte ihn unvorbereitet, erschreckte ihn mit ihrer Schnelligkeit, ihrer Zufälligkeit. Sie brachte Ordnung in die Dinge, erklärte Schritte im Leben, die bis dahin losgelöst, beliebig, planlos schienen. Sie gab ihnen einen Grund, nach rückwärts wie vorwärts. Sie traf ihn im Prinzip mit einem Schlag zwischen die Augen und blendete ihn sekundenlang. In jenem Moment dachte er nicht. Die Gedanken würden viel später kommen, nach Jahren, auf dem kleinen Hügel am Rande einer kahlen Wüste mit eisigen Winden. Erst dann wäre es möglich, dass er sich fragte: Wenn du gewusst hättest, was in Zukunft passieren würde, hättest du auf die Liebe verzichtet?
Er sah Anna, und im Gegensatz zu dem, was damals, im Sinai, geschehen war, trat er diesmal auf sie zu. Auf dem Bahnsteig der anonymen Subway-Station begannen sie miteinander zu reden und fanden kein Ende mehr. Zwei Stunden saßen sie dort auf einer Bank, das donnernde Getöse kam und ging, es wurde immer später.
Er erzählte ihr von jenem Tag am Sinai. Der Tag, der mit dem Erdbeben anfing, als er im Sand saß, und damit weiterging, dass er sie erkannte, als sie mit einer Gruppe junger Leute eintraf. Wie er sofort angespannt war, sich in seinen Kokon zurückgezogen, den Strand überstürzt verlassen hatte und seinen Rückweg nach Hause antrat. Vor der Flucht flüchtete. Fürchtete, sie würde ihn erkennen und sein Geheimnis aufdecken. Immer hatte er sich gefragt, ob sie ihn gesehen hatte. Sie hatte ihn nicht gesehen. Auch das
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