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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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verbringen, und dann fangen Sie erst an zu arbeiten. Sie werden in den Börsenhandelsstunden zwischen halb zehn und vier nicht auf die Toilette kommen, und dann werden Sie mit Teams zusammensitzen, um den Tag zu analysieren und sich auf den nächsten Tag vorzubereiten. Am Abend werden Sie mit den Kameraden vom Board ausgehen, Kollegen treffen und viel trinken, spät und betrunken ins Bett gehen und um fünf zu einem neuen Tag mit Asien aufstehen. Beziehungen, Familie, Freunde, Leben – das alles werden Sie nicht haben, nur Kollegen, die keine Freunde sind, sondern Raubtiere, und Sie werden jeden Augenblick mit ihnen lieben und hassen und werden permanent Bauchweh haben von miserabler Ernährung.«
    Roni hörte sich den entbehrlichen Vortrag von Elliott Lieberman an. Dabei sah er ihm die ganze Zeit über direkt in die Augen und senkte den Blick nicht, als er antwortete: »Ich kenne die Auswirkungen, Herr Lieberman, das schreckt mich nicht ab. Im Gegenteil.« Gughar war inzwischen hereingekommen, und Roni sprach über seine Leidenschaft für den Aktienmarkt, erzählte von einem Aktienkonto, das er selber betrieb und das hübsche Gewinne erbrachte. Er erzählte von der Aktie einer nicht sehr bekannten israelischen Firma und analysierte die Bewegungen. Gughar lächelte befriedigt. Und dann kam Roni zu dem zurück, was er eingangs gesagt hatte: »Geben Sie mir eine Chance, Sie werden es nicht bereuen.«
    Gughar und Lieberman blickten einander an, bis Gughar sagte: »Dale Savage braucht einen Trader.«
    Roni Kupfer arbeitete also in einer Investmentbank an der Wall Street – eine Stufe auf der Leiter. Und erreichte schnell die Position eines Traders – eine weitere Stufe. Er wusste bereits, dass ihn jede Sprosse nur begrenzte Zeit zufriedenstellen würde, bis er seinen Blick auf die nächste richten und die erreichte als selbstverständlich ansehen würde. Das ist die Natur des Menschen, dachte er.
    Das erste Jahrzehnt des Jahrhunderts eröffnete mit einer Krise, auf die eine Erholung folgte. Amerika zog in den Krieg, der Dow-Jones-Index reagierte positiv, die Stimmung war gut – die Welt war ein Spielplatz voller Gelegenheiten. Roni lernte schnell. Seine sieben Computerdisplays – zwei für die Aktienkurse, zwei zur Ausführung von Transaktionen, einer für den Fernsehkanal Bloomberg, einer für Mails von Brokern und vom Team, einer für Chats – brannten sich in seine Netzhäute ein, die Auswertungskolonnen liefen unter seinem Blick durch, er saß in Besprechungen mit den Teilhabern und Analysten, den Tradern und Klienten, redete mit den Brokern, untersuchte Produkte und verfasste Tabellen und Demos darüber, vertiefte sein Verständnis in diversen Marktsektoren, und ganz besonders schliff er an seiner Fachkenntnis im Bereich der Technologieaktien.
    Der israelische Klub oder, wie Idan ihn zu nennen pflegte, das »Donnerstag-Hummus-Forum« war die wichtigste Netzwerkarena für Roni. Dort traf er nicht nur Dutzende andere Israelis, die in Schlüsselpositionen in der Welt der Finanzen und Korporationen New Yorks verstreut saßen und ihre Spinnennetze in konzentrischen Kreisen ausdehnten, sondern er nahm auch, sofern er Zeit fand, an Workshops teil, die das Forum für seine Teilnehmer organisierte: Methoden der Kontaktknüpfung (»Wie man ein Ninja im Networking wird«), Verbesserung des Outfits (in der Herrenabteilung bei Barnes) und »Akzent und Sublimierung«, um die israelischen Dissonanzen in Aussprache und Stil zu glätten. Das war die Schleifmaschine, der sich die Israelis an der Wall Street unterzogen und aus der sie ein bisschen weniger israelisch und etwas amerikanischer hervorgingen, zumindest nach außen hin.
    Obwohl er die Israelis in New York zum Teil verachtete, mochte Roni die Donnerstagabende im Forum, und er begriff auch, dass sie eine unerschöpfliche Quelle für Kontakte und Arbeit waren. Dort legte er das Jackett ab, öffnete den Krawattenknoten, löste zwei Knöpfe an seinem Hemd, aß Hummus und trank Goldstar, für dessen Bereitstellung irgendjemand sorgte, und redete in seiner Muttersprache. Er erhielt eine maßvolle Dosis an Zuhause, die besser war als das Zuhause selbst – das begriff er bei seinem Besuch zu Weihnachten in Israel, als er durch die Straßen von Tel Aviv lief und nicht wusste, was er mit diesem geglätteten und geläuterten Anteil an Israelitum machen sollte, der ihn mittlerweile prägte. Eine Woche war er dort, und er machte nichts anderes, als sich tagsüber an den Strahlen

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