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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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würde.
    Das Angebot kam tatsächlich, der Vertrag wurde unterschrieben, und die ersten 45000 Dollar wurden auf sein Konto überwiesen, eine Unterzeichnungsgratifikation. Nahezu 3000 Dollar davon wurden sofort für eine Einkaufstour bei Hugo Boss, Brooks Brothers und Barnes ausgegeben, in deren Verlauf Roni der Ohrwurm aus der Pessach-Haggada nicht aus dem Kopf ging, »Wer kennt eins?«: zehn Paar Socken, acht Hemden, fünf Krawatten, vier Hosen, drei Paar Schuhe, zwei Anzüge, ein Gürtel, ein Gürtel, Gürtel, einzig im Himmel und auf Erden … obwohl er zwei Gürtel kaufte.
    Also hatte er bereits zu Anfang des zweiten Jahres eine feste, hochdotierte Arbeitsstelle, wie die meisten seiner Gefährten – das Jahr 2005 war ein gutes Jahr für Arbeitssuchende innerhalb des Pendelausschlags zwischen Krise und Wachstum der Finanzwelt seit den Neunzigerjahren –, doch Roni ging weiterhin in die Vorlesungen, besonders in die über Mathematik, die zum Beispiel in die Detailtiefen der Zinsderivate hinabstiegen, wo er neben stillen asiatischen Computerzombies saß, weil er dort Gelegenheit hatte, von den besten Dozenten zu lernen und wertvolle Tipps zu erhalten. Hin und wieder wurde er zu Abendessen mit dem Team von Goldstein-Lieberman-Weiss eingeladen und erhielt von der Firma sogar schöne Geschenke zum Geburtstag und zu Weihnachten.
    An einem sommerlichen Montag stieg Roni in einem hellen, leichten Hugo-Boss-Anzug aus der Linie 3 hinaus auf den Bahnsteig der Chambers-Street-Station im Süden Manhattans und von dort aus auf die Straße. Er hielt einen Moment in dem Tumult inne, spannte seine breite Brust und hob den Kopf. Seine Nasenflügel sogen die salzige Luft ein, die vom Hudson River herantrieb, und er begann zuerst nach Westen zur Chambers Street und dann auf der West Street Richtung Süden, neben den Sportplätzen des Battery Park entlangzugehen, bis er ein hohes Bürogebäude erreichte. Er verharrte wieder einen Moment, um den Eingang zu mustern, und schaute dann hinauf – irgendwo dort, im einunddreißigsten Stockwerk, lagen die Büros von Goldstein-Lieberman-Weiss Investments situiert. Er blieb stehen, denn er wusste, dass er von nun an bis auf weiteres diese Einzelheiten nicht mehr wahrnehmen, sondern einfach zu einem weiteren Arbeitstag hineingehen würde. Wo ist Roni Kupfer, dachte er, und wo ist Oren Azulai mitsamt dem Rest der Zwerge? Er spuckte auf den Bürgersteig, und dann betrat er das Gebäude.
    Roni quetschte sich Tag für Tag in die Linie 3 der Untergrundbahn, in Gesellschaft Hunderter und Tausender Finanzleute, Anzug- und Krawattenträger wie er, die von ein paar Blocks im Süden Manhattans aus Milliardentransaktionen über den ganzen Globus tätigten. Als er fortfuhr, Exceltabellen und Powerpoints anzulegen und relativ öde Sitzungen zusammenzufassen, fühlte er sich nicht wirklich als Teil dieses Nervenzentrums, doch Alon, Gughar und andere sagten ihm, dass in einem kleinen, variationsreichen Unternehmen wie dem ihren sich rasch eine Gelegenheit ergeben würde. Also wartete er, fuhr fort, seine Fäden in dem expandierenden Netz zu spinnen, hielt die Augen offen, führte das, was von ihm verlangt wurde, effektiv aus und schmeichelte sich ein.
    Anfang 2006 war die Gelegenheit da. Zwei Trader – Aktienhändler – schieden aus dem Handelsdesk im Hedgefonds aus, und als Roni eines Tages das Büro Elliott Liebermans, eines der rangältesten Teilhaber, betrat, um ihm ein Pitchbook zu bringen, das er angefordert hatte – ein Demo über einen potentiellen Klienten –, sagte er am Ende des Gesprächs zu Lieberman: »Lassen Sie mich im Desk sitzen. Sie werden es nicht bereuen.«
    Lieberman starrte ihn mit wässrig blauen Augen an und schwieg einen Moment. Dann fragte er: »Haben Sie Erfahrung in Verkauf und Handel?«
    »Nein«, erwiderte Roni. »Aber ich besitze gesunden Menschenverstand und Konzentrationsvermögen. Ich bin Israeli, ich habe eine starke Persönlichkeit, und ich kann schnelle und messerscharfe Entscheidungen treffen.« Er lächelte und schob nach: »Ich habe viele Bücher über Trading gelesen.« Er sagte nicht dazu, dass er auch von den Figuren Gordon Gekko, in dem Film Wall Street , und Jack Bauer, in der Fernsehserie 24 , viel gelernt hatte.
    Lieberman bat seine Sekretärin, Gughar Rawandip zu rufen, und inzwischen fragte er Roni: »Kennen Sie die Konsequenzen? Sie werden nicht viel schlafen, im Morgengrauen mit der Börse in Asien aufstehen, den Morgen mit den Börsen in Europa

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