Auf fremdem Land - Roman
»Spinnst du?!«
»Sei still. Bleib im Zimmer, das geht dich nichts an.«
»Was soll das heißen, es geht mich nichts an?« Scha’ulit versuchte, zu Tchelet zu gelangen, die in den höchsten Tönen brüllte.
Nir stellte sich ihr in den Weg. »Ich hab gesagt, bleib drüben!«, knurrte er und stieß sie in das Zimmer, mit einem wilden, unvergesslichen Blick in seinen roten Augen. Die Mädchen heulten weiter, Zebuli schrie wie am Spieß, und Scha’ulit versuchte nochmals durchzukommen. Nir versetzte ihr einen Stoß, sie schrie, er drückte sie an die Wand und schlug mit der Faust zu, einen Zentimeter neben ihrem Ohr. Und dann, dem Herrn sei Dank, drehte er sich um und ging hinaus.
Bei jedem Besuch bat Nir um Verzeihung und sagte, er habe einen Fehler gemacht. Erklärte, dass er eine Phase der Anspannung durchgemacht hatte. Wies auf die Entlarvung des Maulwurfs, Jenia Freud, hin. »Ich hab was für den Hügel getan, als ich das Geheimnis aufgedeckt habe«, sagte er einmal, »und dafür verjagt man mich von hier?« Scha’ulit warf einen Blick auf die Mulde in der Wand und gab keine Antwort.
In der Nacht, in der die Mulde entstand, schlief er auf dem Spielplatz. Mitten in der Nacht schlug er plötzlich die Augen auf und sah einen Stern fallen, und ein verstörender, beängstigender Gedanke lähmte ihn: Alles ist so fließend, alles kann in einer Sekunde aus und vorbei sein. Nicht nur hier. Überall auf der Welt. Aber hier besonders. Alles, was du hast, kannst du verlieren. Aber unser heiliger Rabbi Nachman von Brazlaw lehrt uns, in die Natur hinauszugehen, unter den Bäumen zu sitzen mit Vogelgezwitscher, im Wind, die Sterne anzuschauen, den Mond, mit dem Herrn zu reden, ihm alles zu erzählen, zu schreien, zu singen, zu tanzen und ruhig, fröhlich und voll Liebe nach Hause zurückzukehren. Er schlief mit einem Lächeln ein, und am Morgen kam er voll Reue und guten Willens nach Hause.
Scha’ulit sagte, sie wolle sich trennen. Er versprach, nicht mehr zu trinken. Sie sagte, es spiele keine Rolle, was er mache, sie wolle ihn nicht mehr im Haus haben. Als er beharrlich blieb, drohte sie, sich an den Rabbiner, die Nachbarn zu wenden, zu erzählen, was er getan hatte. Er bat um eine Gnadennacht. Sie sagte, pack deine Sachen und geh. Er packte schleunigst zusammen und ging, trug einen Koffer zu seinem verbeulten blau-metallic lackierten Subaru.
Er fuhr auf der Ringstraße, aufgewühlt und gedemütigt, und hielt am Haus der Familie Asis. Gittit war mit einem ihrer kleinen Brüder im Hof. Nir ließ das Fenster herunter und winkte sie mit gekrümmtem Finger zu sich. Als sie sich näherte, schlug er vor, sie solle einsteigen, eine Rundfahrt mit ihm machen. Sie begriff nicht, wieso Auto, wieso denn Rundfahrt.
»Brauchst du Papa?«, fragte sie.
»Nein, dich.« Nir Rivlin blickte sie, die Kipa in die Stirn gerutscht, von unten herauf lächelnd an. Und dann sagte er: »Ich weiß was über dich.«
»Was?«
»Das mit dem Äthiopier.«
Ihre Augen weiteten sich. Sie versuchte, ihren Schrecken zu kaschieren. »Was? Wovon redest du?«
Ein paar Minuten nachdem er bei seiner Frau gescheitert war, versuchte Nir erneut, seinen Willen zu erzwingen: »Wenn du nicht willst, dass ich es Papa erzähle, dann komm mit mir auf eine Rundfahrt.«
»Wieso denn Rundfahrt? Von was redest du? Bist du verrückt geworden?«
Noch eine, die ihn fragte, ob er verrückt sei. Vielleicht war er wirklich verrückt geworden? Allmächtiger Herr der Welt.
Er fuhr. Schlief ein paar Nächte im Haus seiner Eltern in Beit-El. Rief Scha’ulit täglich an. Schließlich kam er zurück und fand ein Zimmer mit eigenem Eingang in Ma’aleh Chermesch. Versprach dem Hauseigentümer, dass es nur vorübergehend, vielleicht für einen Monat sei. Lebte dort schon seit ein paar Monaten. Eines Nachmittags, nachdem er wieder versucht hatte, Scha’ulit zu überreden, heftete sie einen distanzierten Blick auf ihn, den er an ihr nicht kannte, und sagte mit kalter, selbstsicherer Stimme: »Nir, ich will nicht mit dir leben, warum verstehst du das nicht?« Er verließ das Haus, ging zum Nachbarhaus und sah Gittit. Er schlug ihr vor, ihn zu heiraten als Gegenleistung für sein Schweigen. Sie interessierte sich dafür, ob die Möglichkeit bestehe, dass ihm der Verstand abhandengekommen sei. Er erklärte, dass es ihm ernst sei, worauf sie kicherte. Als er einen letzten Anlauf unternahm: »Nu, was sagst du?«, drehte sie sich um und ging. Er betrat das Haus ihres
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