Auf fremdem Land - Roman
Vaters.
Gittit wurde in die religiöse höhere Mädchenlehranstalt Eschet chajl – das »biedere Weib« – in Samaria geschickt.
Der Befehlshaber des Zentralkommandos, Giora, erhielt einen hektischen Anruf von seinem Freund und versprach, den unbotmäßigen Soldaten zu bestrafen und aus der Siedlung zu entfernen. Doch der Termin von Jonis Entlassung stand ohnehin kurz bevor, und sein Kommandeur, Omer Levkovitsch, überredete den Generalmajor dazu, Joni bis zu seiner Abmusterung in der Siedlung zu behalten, und versprach, jede Möglichkeit eines Kontakts zwischen Gittit und Joni zu unterbinden – wenn sie an den Wochenenden in den Stützpunkt käme, würde er Joni nach Hause schicken.
Gittit erzählte ihrem Vater nichts von Nirs unzüchtigen Vorschlägen, doch an einem der kalten Freitagabende, an denen sie aus ihrer Lehranstalt zurückkam – es wurde der Wochenabschnitt vajigasch gelesen –, fragte Scha’ulit sie draußen vor der Synagoge, wie es ihr gehe. Das gleichmütige »in Ordnung«, verbunden mit einem Achselzucken und einem traurigen Lächeln, ließ viel Raum für Deutungen. Scha’ulit legte ihre schmalgliedrige Hand auf Gittits Arm und meinte fragend: »Vielleicht kommst du nach dem Abendessen mal zu mir?« Gittit lächelte, ohne zu antworten. Allein der Gedanke an die Fragen, die ihr Vater stellen würde, sein Misstrauen. Sie zog es vor, bis zur Fahrt nach Jerusalem am Montagmorgen nicht aus dem Haus zu gehen. Aber später, als es still geworden war im Haus, als ihre Geschwister eingeschlafen waren, auch ihre Eltern sich ins Bett zurückgezogen hatten und sich die Schabbatstille herabsenkte; als die automatisch vorprogrammierte Schabbatuhr das Licht im Wohnzimmer abstellte und sie im Dunkeln zurückließ, fiel ihr Scha’ulits Einladung ein. Sie hatte keine Lust zu schlafen, zu viele Gedanken und Gefühle tobten in ihr. Leise verließ sie das Haus vor dem dunklen Hügel. Beilin begleitete sie ein Stück des Wegs, bellte dann zum Abschied, die klare Winterluft des Tevet, sprich Dezember, erfüllte sie mit Gedanken und Erinnerungen, mit Sehnsucht und Begehren, und sie atmete sie tief ein. Als sie Scha’ulits Haus passierte, sah sie Scha’ulit auf der Schaukelbank draußen sitzen. Scha’ulit sagte: »Gut, dass du kommst, ich habe gerade eine Kanne Tee gemacht.«
Sie hatten in den Jahren ihrer Nachbarschaft nicht viel miteinander geredet, doch etwas an ihrer neuen Situation verband sie nun. Ein Bund der Ausgestoßenen. Die Frauen, die getan hatten, was man nicht tat – die eine hatte ihren Ehemann davongejagt, die andere hatte die Sünde verbotener Beziehungen begangen. An jenem ersten Abend erzählte Gittit von ihrem Leben danach: Es war schwer für sie in der Eschetchajl, doch sie spürte, dass sie Gott näherkam und in ihrem Glauben und ihren Meinungen erstarkte, erwärmt von dem Gemeinschaftsgefühl der Mädchen, wenn sie zusammen sangen oder chassidische Tänze tanzten – bezaubernde Mädchen, auch die Äthiopierinnen, obwohl sie Erinnerungen weckten. Scha’ulit nickte, bemerkte die abgeknabberten Fingernägel des Mädchens.
Beim nächsten Mal, als die Schülerin aus ihrer Lehranstalt zum Schabbat nach Hause kam, ging sie wieder zu Scha’ulit, und wieder schaukelten sie draußen in dicken Pullovern und langen Röcken, doch diesmal erzählte sie von Joni. Bevor sie ging, sagte sie: »Du bist die Erste, der ich die ganze Wahrheit erzählt habe.« Und Scha’ulit lächelte und streichelte sie. Die Woche darauf regnete es, und als Scha’ulit ihr in der Synagoge zulächelte, wartete Gittit schon auf den Moment, in dem ihre Familienmitglieder schlafen gehen würden. Diesmal, beide in der engen Küche, ein Glas Tee zwischen den Handflächen und darauf bedacht, die Kinder nicht zu wecken, erzählte sie Scha’ulit von Nirs abseitigem Heiratsvorschlag.
Scha’ulit schwieg. Sie stand auf, um Wasser aus dem Kocher nachzugießen, und schnitt dann einen Kuchen auf. Gittit beobachtete sie. »Oi, tut mir leid. Das war falsch von mir«, sagte sie, »ich hätte es dir nicht erzählen sollen. Ich glaube, er hat nur Spaß gemacht, er hat es nicht so gemeint …« Ihre Stimme erstarb. Scha’ulit setzte sich wieder auf ihren Platz, trank langsam den Tee, starrte in die Luft.
»Ich glaube nicht, dass er Spaß gemacht hat«, erwiderte sie schließlich. »Vielleicht hat er nicht wirklich heiraten gemeint, aber er wollte etwas. Tatsache ist, in dem Moment, wo du nein gesagt hast, ist er zu deinem Vater und
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