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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Ma’aleh Chermesch 3 zu besuchen. Seit der Trennung von Scha’ulit ließ er den Unterricht am Freitagvormittag im Zentrum für koschere Kochkunst in Jerusalem ausfallen. Auf ein Abschlusszeugnis hatte er ohnehin so gut wie verzichtet – er würde die Anwesenheitspflichtquote bereits nicht mehr zustandebringen, die Abschlussprüfungen nicht bestehen und kein Praktikum machen. Er nahm sich eine Auszeit. Mit der Gitarre auf dem Rücken durchquerte er die Felder, stieg in die Rinne von Nachal Chermesch hinunter und auf dem Sandpfad durch die Pfützen wieder hinauf zur Siedlung.
    An diesem Morgen war es heiter. Die schweren Wolken waren verschwunden und hatten eine spröde frische Luft zurückgelassen, die Nir liebend gern zwischen den Zähnen einsog. Der Verkehr auf der Straße war lebhaft. Er lehnte mit einem Abwinken Mitfahrangebote ab. Er dachte an den Wochenabschnitt schemot , aus dem Buch Exodus, an Moses und den brennenden Dornbusch, an die Lektion des Rabbiners, die er vorgestern gehört hatte. Er fuhr sich mit einer Hand durch seine roten Haare, die er seit kurzem wachsen ließ, drückte die neue Kipa fester, die bunter war als die vorige, streichelte seinen Bart, den er zu stutzen und zu pflegen begonnen hatte. Er dachte an das Lied, das er Amalia, Tchelet und dem kleinen Zebuli vorsingen würde, und freute sich schon darauf, sie zu sehen. Er legte den Kopf in den Nacken und lächelte zum Himmel hinauf – das Leben war schön! Wenn nur Scha’ulit einverstanden wäre, dass er nach Hause zurückkäme, würde alles perfekt sein; im Grunde war er sich sicher, am Ende würde sie einwilligen. Für die Kinder. Sie hatte recht gehabt, als sie ihn hinausgeworfen hatte – er trank, war faul, half ihr nicht, war unsensibel, verlor die Beherrschung. Aber sie würde die Veränderung sehen. Wie er sich der Kinder annahm. Er hatte seit über einem Monat keinen Tropfen mehr getrunken, mit den Joints hatte er auch fast ganz aufgehört. Sie würde nachgeben, sie hatte schließlich keinen Scheidungsbrief verlangt, und der Rabbiner seinerseits hatte versprochen, ihr zuzureden. Vielleicht würde sie ihm heute verzeihen? Ein Monatsanfang stand vor der Tür, ein neuer Thoraabschnitt, Sonne am Himmel – ein vollkommener Schabbat für neue Anfänge. Oder Erneuerungen. Er gelangte zu dem letzten steilen Hang, stürmte ihn in einem Ausbruch von Energie hinauf, steuerte zwischen den Schlammpfützen hindurch und lief – seine Waden rannten seinem Körper fast voraus – nach Hause.
    Nir war nach einer Nacht des Zorns aus dem Haus geworfen worden, in der er ein Bier zu viel getrunken und die Faust einen Zentimeter vom Ohr seiner Frau entfernt geschwungen hatte. Die Faust hatte die Wand ihres Schlafzimmers getroffen und eine Mulde darin hinterlassen, die immer noch deutlich zu sehen war. Scha’ulit betrachtete sie jedes Mal, wenn Nir sie anflehte, ihm noch eine Chance zu geben. Die Delle gab ihr Kraft, standhaft zu bleiben. Worum ging es bei der Faust? Nir erinnerte sich nicht, vielleicht hatte er es schon gar nicht mehr gemerkt, dass er sie schwang, wegen des Alkohols, der in seinem Kopf schwappte, aber Scha’ulit erinnerte sich sehr gut: Zebuli hatte an diesem Tag ständig geweint, weil ihm anscheinend ein Zahn wuchs, oder vielleicht hatte er auch Bauchweh. Er klammerte sich an Scha’ulit. Und dann fingen Tchelet und Amalia im anderen Zimmer wegen eines Haargummis zu streiten an. Scha’ulit schrie hinüber, konnte aber nicht eingreifen, da sie Zebuli stillte. Sie hörte die misstönenden Akkorde aus der Hängematte im Garten und rief immer wieder nach ihrem Mann, bis sie schließlich schrie. Zuletzt kam er mit roten Augen daher und knallte die Tür hinter sich zu. »Was? Was? Was?! Was??! Hörst du nicht, dass ich versuche, an einem Lied zu arbeiten?«
    Scha’ulit ignorierte seine vierfache Fragelitanei. »Geh zu den Mädchen und schau nach, was los ist.« Die beiden plärrten, zogen einander an den Haaren, und Zebuli löste sich, vielleicht aus Solidarität, von der Brust seiner Mutter und stimmte in das allgemeine Geheul mit ein. Nir ging zu den Mädchen und trennte sie gewaltsam. Als er sich umdrehte, ging die Schlacht erneut los.
    Er drehte sich wieder zu den beiden um, brüllte: »Schluss!!!«, und zog Amalia vehement von Tchelet weg, stieß sie hart auf die eine Seite des Zimmers und ihre Schwester auf die zweite.
    Die zwei Mädchen verstärkten ihr Geheul. Auch Zebuli. »Was machst du denn?«, schrie Scha’ulit.

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