Auf fremdem Land - Roman
dass ich mich nicht geduscht habe, bevor ich gegangen bin. Wann habe ich mich das letzte Mal geduscht? Shit .
»Schade«, bemerkte Moran. »Das hätte ein nettes Projekt sein können. Ihr hattet eine gute Idee. Kooperation. Traditionelles Öl auf hohem Niveau. Eine kleine Nische, aber …« Moran redete weiter, doch Roni hörte nicht zu. Sie fuhren durch Jerusalem, wo er ebenfalls seit langen Monaten nicht mehr gewesen war. Wie einfach das ist, dachte er. Du steigst in ein Auto und fährst. Ein Jahr lang hatte er es nicht fertiggebracht, das zu tun. Unglaublich. Es war so leicht hängenzubleiben. Er fühlte sich schwindlig von der Menge der Autos, von den grünen Feldern neben der Schnellstraße, von den neuen Straßenkreuzen und den frisch verlegten Bahngleisen. Es begann zu regnen, und die Scheibenwischer quietschten mit jeder Bewegung. Die Irritationen in der Haut, die gepressten Atemzüge, der Druck im Magen, alles signalisierte ihm, dass er aufgeregt war.
»Sag mal«, sagte Moran, nachdem er aggressiv gehupt und einem Fahrer, der ihn an der Latrun-Kreuzung geschnitten hatte, »Nuttenbastard!« nachgeschrien hatte. »Das hat mich schon immer interessiert. Diese Siedlerinnen, gibt es dort … ich meine, es gibt ein paar, die schauen gut aus, eh? Das große Mädel von Otni, und auch, du weißt schon …«
Roni half Moran nicht. Er war immer noch etwas ärgerlich, dass er ihm vor ein paar Minuten nicht erlaubt hatte, eine Zigarette zu rauchen.
»Also, du bist ja ein Säkularer, stimmt’s? Gabi ist ein Neo-Orthodoxer, aber du nicht, stimmt’s? Gabi ist übrigens ein guter Kerl. Arbeitet gut, ruhig, ich hab öfter mit ihm … jedenfalls, gibt’s denn irgendeine action ? Wenn du verstehst, was ich meine.«
Roni verspürte Müdigkeit. »Nichts, glaub mir.« Roni hatte in letzter Zeit fast aufgehört, an Sex zu denken, überraschenderweise. Er fragte sich, warum. Vielleicht die Depression, vielleicht erstickte etwas am Hügel den Trieb. Am Anfang war er noch mit seiner vertrauten Geilheit herumgelaufen, hatte Signale verstreut und auf eine Reaktion gewartet. Da war die sexy linke Demonstrantin, da war Scha’ulit Rivlin, auf die er ein Auge geworfen hatte, und als sie ihren Mann aus dem Haus warf, hatte er einen kurzen Moment gedacht, es bestehe eine Chance, und natürlich die hübsche Gittit Asis, die etwas mit dem Äthiopier laufen hatte. Letztendlich war das eine weitere müßige säkulare Phantasie – dass sich unter der Oberfläche einer traditionellen, religiösen und züchtigen Gemeinschaft wüste Triebe tummelten, man musste nur ein bisschen daran kratzen, und schon hatte man sie. Schließlich hatte sich Roni der erloschenen Atmosphäre ergeben, und nur hin und wieder flackerte eine punktuelle Sehnsucht nach einem weiblichen Körper auf – eine gerundete, weiße Wade, die glatte Mulde einer Achselhöhle.
»Was du nicht sagst. Gar nichts? Lass dich nicht so betteln, Bruder.«
Es war merkwürdig. Roni verstand genau, was Moran wissen wollte. Doch zum ersten Mal in seinem Leben betrachtete er es von der anderen Seite, der Seite, die die infantile Begeisterung an Geheimnissen nicht verstand, dieses Bedürfnis, eine andere Wahrheit zu entdecken als die, die offensichtlich war, denn natürlich hatten die Menschen Triebe und gaben ihnen nach, jeder auf seine Weise.
Eine rhythmische Melodie erklang im Raum des Wagens und ließ Roni erstarren.
»Hi, meine Süße«, sagte Moran.
»Papa«, hörte man eine kleine, niedliche Stimme. »Ich bin da. Bin zu Hause.«
»Schön, May, Schätzchen. Was hast du heute gemacht?«
Wie viel Zeit vergangen ist, nahm Roni seinen Gedankengang von vorher wieder auf, schon 2010, ja Allah . So viel Zeit, dass er sich kaum an das Gefühl erinnerte und nicht einmal mehr Selbstmitleid empfand. Roni Kupfer ein Mönch, wer hätte das geglaubt. Die Religion, setzte Roni sein Selbstgespräch fort, während Moran mit seiner achtjährigen Tochter telefonierte, ist ein interessanter gesellschaftlicher Versuch, die Tatsache zu bewältigen, dass alle Männer süchtig nach Sex und Gewalt sind. Im letzten Jahr hatte er gelernt, dass sie es, zumindest was den Sex anging, schaffte, den Trieb zu knebeln.
Ihm fiel auf, dass sich ein neues Denken seines Gehirns bemächtigte, je weiter er sich von dort entfernte. Neu oder vielleicht das alte. Die Schlichtheit des Lebens im Stützpunkt, die klaren Gesetze und die Ordnung, die sie diktierten – zeitweilig hatte ihn das bestochen. Aber auf der Fahrt
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