Auf fremdem Land - Roman
er Rina noch einmal, ungeplant, obwohl sie in der Nacht davor ihre Telefonnummern ausgetauscht hatten. Diesmal begannen sie von einer anderen Position aus, nicht mehr wie ein Mann und eine Frau, die sich zufällig an einer Bar treffen, ein paar Stunden miteinander plaudern und dann vielleicht wer weiß was noch machen. Diesmal redeten sie in einem größeren Zusammenhang, diesmal redeten sie von der Vergangenheit und über die Gegenwart, ohne Versuche, einander zu beeindrucken, wie: »Ich wohne in einem Wohnwagen auf einem Hügel in den Gebieten«, oder: »Ich bin eine Kindergärtnerin in der Schlomo Hamelech.« Dieses Mal gaben sie zu: »Mein Wohnwagen ist der mieseste Wohnwagen in den Gebieten, und ich weiß nicht, was ich dort mache«, und: »Die Stadtverwaltung stranguliert mich, ich weiß nicht, ob ich am Ende von diesem Jahr noch eine finanzielle Rechtfertigung oder die Energie habe weiterzumachen.« Die Zeit verging schnell, das Bier floss, es tauchten sogar einige alte Gäste in der Bar Barabush auf, die sich an Roni erinnerten. Einer von ihnen erzählte ihm, dass Ariel an einer neuen Geschäftsinitiative arbeite, etwas, das mit Eisgetränken zu tun hatte, mit einer Kreuzung süß-saurer Geschmacksrichtungen. Das erinnerte Roni daran, dass er schon lange nicht mehr mit Ariel gesprochen hatte.
Am Ende des Abends schickte ihn die Kindergärtnerin wieder zum süßen Schlaf in ihren geschlossenen Kindergarten in der Schlomo Hamelech, bis in die späten Morgenstunden des Schabbats. Das Treffen am Samstagabend war bereits eine Verabredung, bei der sie es wagten, ein bisschen von der Zukunft zu reden.
Die Kipa
Seit der Sprengung der Moschee in Second Life , nach seinem denkwürdigen Brechanfall, war Jakir nicht mehr dorthin zurückgekehrt. Sowohl aus Angst vor einer Entlarvung durch die interne Polizei des Spiels, als auch aus Reue und Verachtung der Taten und Worte von King Meir und seiner Gefährten des jüdischen Untergrunds, zudem aus Zeitmangel, denn er betrieb die Internetbestellseite des Hofes, führte eine archäologische Recherche durch und befand sich mitten im Schuljahr. Ganz zu schweigen von Gebeten, gelegentlicher Feldarbeit und Mithilfe bei der Versorgung seiner kleinen Geschwister. Doch trotz seiner zahlreichen Beschäftigungen war Jakir immer noch ein Junge von fünfzehneinhalb Jahren, vor dem sich die Welt auftat, mit ungeheurer Neugier und großen Zweifeln, ganz und gar aufgeregt angesichts neuer Entdeckungen und Möglichkeiten, neuer, anderer Meinungen und Gedanken. Er wusste, dass das, was in Second Life passiert war – die Aggressivität, das Eindringen in die Privatsphäre und die Demütigung anderer, die Überlegenheitsgefühle, die quasi eine Lizenz zum Randalieren verliehen –, ihn dazu gebracht hatte, sich sehr unbehaglich zu fühlen. Das war nicht er selbst. Was er genau war, wusste er nicht. Aber wenn du fünfzehn Jahre alt bist und deine Finger dich stundenlang durch die Tiefen des Internets führen, dann gibt es eine Menge Dinge, die du entdecken kannst und die dich verändern.
Es fing bei der Musik an, vom eher konformen Avitar Banai zu schwarzen Rappern, Clips auf YouTube, Blogs und Radioprogrammen im Internet (mit Kopfhörern, da sich seine Mutter über »diesen Krach« beschwerte), und es setzte sich fort zu einem Jom Kippur voller Gedanken über eine Million Dinge, die überhaupt nichts mit dem kol nidre und all den anderen Gebeten zum Versöhnungstag zu tun hatten. Es gab Gespräche mit Moran, »Was denkt ihr Säkularen über uns«, ging weiter mit einem Forum ökologischen Gemüseanbaus, zu Foren über grüne Bewegungen und Yoga und zu Webseiten liberaler Religiöser. Führte zu weiteren Unterhaltungen mit Moran über Säkulare und Linke, Überlegungen, was mache ich auf diesem Hügel ohne Freunde in meinem Alter, und von dort war es nur ein kurzer Schritt, sich in Jerusalem eine kleinere Kipa zu kaufen statt der ausladenden Wollkipa, wie sein Vater eine hatte. Seinem Vater fiel es nicht auf, Gittit jedoch schon. Sie grinste und fragte, ob er jetzt den Verstand eingebüßt habe, ob er jetzt einer von dieser Lightversion der Religiösen sein wollte, bei denen man die Kipa nicht sieht, ob er sich schäme? Wieso schämen? Er fuhr fort, eine Menge interessanter Dinge zu lesen. Er betrachtete Gittit, wenn sie aus ihrer Mädchenlehranstalt zurückkam, und plötzlich kam ihm das komisch vor, mit solcher Leichtigkeit zu wissen, was richtig war, und Schwierigkeiten zu haben, etwas
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