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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Luft gereckt …
    »Was für ein Irrer«, stimmte er ihr zu und versuchte, ihren restlichen Körper möglichst unauffällig zu erfassen. Auf der Fahrt hatte er noch darüber nachgegrübelt, wie sehr er am Hügel sexuell erloschen war, und nun brauchten Tel Aviv und seine Bewohnerinnen weniger als zehn Minuten, um das Tier aus seinem Schlummer zu wecken.
    »Hauptsache, es ist alles in Ordnung«, sagte sie. Und er:
    »Sagen Sie, wollen Sie irgendwo einen Kaffee trinken, zur Beruhigung?« Sein Blick schweifte bereits auf der Suche nach einer Örtlichkeit umher. »Wo sind wir überhaupt? Ah, Ben Gurion …« Doch sie setzte ihren Weg fort, nicht bevor sie ihn aus ihren Karamellaugen mit einem Schimmer der Verachtung angeblickt hatte.
    Nu, zu füllig, tröstete sich Roni, und der Zinken – du meine Güte. Wie snobistisch die Tel Aviverinnen waren! Während er sich aufrappelte und seinen Weg zum Meer fortsetzte, dachte er, ja Allah , früher hätte ich das anders gemacht. Ich hätte es wenigstens geschafft, ein paar Minuten mit ihr zu reden. Ich erinnere mich gar nicht mehr, wie man das macht. Bin völlig eingerostet. Am Sheraton-Strand setzte er sich in einen Liegestuhl, den er für zehn Schekel mietete, und schaute auf die Wellen. Die Mädchen waren rar und nicht allein, doch die klaren Konturen ihrer Brüste waren eine Überraschung, fast ein Schlag. Seit Monaten hatte er nicht einmal annähernd ein solches Schauspiel gesehen, und es gelang ihm nicht, die Augen davon zu lösen. Das Meer war stürmisch.
    Vielleicht ist es gut, eingerostet zu sein, sinnierte er. Der Rost schützt dich, hüllt dich ein. Rost ist nicht nur Schmutz, sondern bewahrt auch. Er nickte ein, und als er von der Kälte erwachte, waren die Menschen, die vorher am Strand gewesen waren, verschwunden und hatten Dunkelheit hinterlassen. Er ging in die Bar Barabush. Setzte sich an die Theke. Kannte niemanden. Er musterte den Ort, hielt sich bei den Veränderungen auf – neue Stühle, ein Regal mit Flaschen, ein Hahn für deutsches Fassbier. Was für einen großen Teil meines Lebens habe ich hier verbracht, dachte er, und nach einer Weile: Ich sehne mich ein bisschen nach Stille. Vielleicht habe ich genug von Städten. Vielleicht sehne ich mich nach meinem Wohnwagen, dem miesesten aller Wohnwagen in den besetzten Gebieten.
    In der Bar traf er Rina, die Kindergärtnerin. Sie fing an, mit ihm zu reden. Und fuhr fort zu reden. Stundenlang. Draußen regnete es, und drinnen hatte es niemand eilig, wegzugehen. Sie war nicht sein Geschmack, nicht vom Aussehen, nicht vom Beruf, nicht vom Charakter her. Doch er fühlte sich wohl dabei, mit ihr zu reden. Sie erzählte ihm von Teesorten. Yogaarten. Kinderliedern. Sie analysierte den Wohnungsmarkt in Tel Aviv. Er trank Bier, ging zu Kaffee über und beschied sich dann mit lauwarmem Wasser aus dem Hahn. Jedes Mal, wenn er hinausging, um zu rauchen, wartete sie drinnen auf ihn, bis der Regen stärker wurde und er aufhörte zu rauchen und bei ihren Geschichten sitzen blieb, über Väter von Kindern im Kindergarten, die etwas von ihr wollten, über den neuen Bioladen im Zentrum, in der Shopping Mall Gan Ha’ir, über eine himmlische Eisdiele, die er ausprobieren müsse. Von ihr wollten Väter was?, wunderte er sich im Stillen.
    Als er zu ihr sagte, dass er keinen Platz zum Schlafen habe, lud sie ihn zwar nicht zu sich ein, bot ihm jedoch an, er könne in ihrem Kindergarten übernachten, wenn er verspreche, sich um sechs aus dem Staub zu machen. Und so verbrachte Roni mitten in einem Kindergarten in der Schlomo-Hamelech-Straße, auf der Höhe zwischen der Ben Gurion und der Arlozorov, seine erste Tel Aviver Nacht seit Ewigkeiten in süßem Schlaf auf ein paar zusammengeschobenen Kindermatratzen. Er erwachte von ihrem Anruf um sechs Uhr morgens, als ihre belegte, aber liebenswürdige Stimme sagte: »Guten Morgen, bitte mach dich aus dem Staub.« Er hielt sein Versprechen, räumte auf und ging, und den Freitag verbrachte er mit Spazierengehen, auf Bänken in den Alleen, am Meer und, vor allem, staunend – wo war die fieberhafte Vorbereitung auf den Schabbat? Wo waren die Kochgerüche, das Eintauchen des Geschirrs in der Mikve? Wo waren die staubaufwirbelnden Autos im letzten Moment? Wo war die Stille, die langsam alles eroberte? Die Dunkelheit, die weißen Gewänder, das Lächeln in der Synagoge?
    Er wusste genau, wo. Er würde am Sonntag dorthin zurückkehren, nach zwei weiteren Tel Aviver Nächten. Am Freitagabend traf

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