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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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vier-, fünfmal lassoartig kreiseln, um Schwung und Tempo zu gewinnen, und warf die Hand dann, mit dem Kopf zwischen den Fingern, heftig nach vorn. Durch den schwungvollen Ruck trennte sich der Körper der Taube vom Kopf und flog fünf bis zehn Meter weit, landete auf der Erde, während die Flügel noch schlugen, und Gabi blickte auf den Kopf, der in seiner Hand zurückblieb, gab ihm einen Luftkuss über dem Schnabel und warf ihn irgendwohin. Danach trat er zu dem zuckenden, warmen Leichnam, und mit Hilfe des Taschenmessers schnitt er ihn auf, tranchierte die guten Fleischstücke und servierte sie anschließend dem Falken auf einem Teller. Als er Erfahrung, Kaltblütigkeit und Fachkenntnis gesammelt hatte, dauerte die ganze Geschichte letztlich nur ein paar Minuten. Jotam half, die Fallen auszustreuen und die Tauben in den Raum zu stoßen. Den ganzen Rest der Arbeit überließ er Gabi – das Hinausbringen, Herumschwenken, Kopfabtrennen, das Zerlegen des Fleisches.
    Das ging so lange, bis die Schichtkoordinatorin die Gerüchte hörte, die die Mädchen angeekelt in der Klasse herumerzählten, und kam, um sie zu verifizieren. Sie sagte zu Jotam und Gabi, sie könnten keinen Falken bei sich im Zimmer halten, sie müssten ihn sofort freilassen, und es sei absolut nicht in Ordnung, dass sie nicht zum Tierarzt gegangen seien, denn wer weiß, welche Krankheiten er hätte, wo hätten sie ihn überhaupt her, und diese ganze Geschichte mit dem Taubenmord könne so nicht weitergehen. Als sie aus der Strafpredigt entlassen waren, sagte Jotam zu Gabi, er habe sowieso genug von dem Falken. Gabi stimmte ihm zu, das Timing der Koordinatorin war gut gewesen. Sie erwogen, ihn am Berg freizulassen, doch er hatte, ihrer Meinung nach, immer noch ein Problem mit dem Bein, also übergaben sie ihn einem Kibbuz mit Besucherzoo. Danach gewährten sie den beiden blinden Tauben, die noch im Lagerraum gefangen waren, eine Doppelbegnadigung.
    Der Kiefer
    Nicht lange nach dem Falken wurde Gabi entführt, während er allein durch die Pflaumenplantage in Richtung Berg ging. Er wusste nicht, wer ihn entführte. Ein Mann, ein älterer, korpulent, mit behaarten Armen und großen Händen – das alles hatte er gespürt, und in den darauffolgenden Tagen besah er sich sämtliche Arme der Männer im Kibbuz aus der Nähe. Der Entführer hielt Gabi mit beiden Händen Mund und Augen zu und umschlang ihn einige Minuten lang mit einer Kraft, die Gabis Widerstandskraft um ein Vielfaches überstieg, bis Gabi begriff, dass es besser für ihn war, sich in sein Schicksal zu fügen. Dann löste der Entführer eine Hand und ersetzte sie sofort durch eine Binde, zuerst über den Mund, dann über die Augen, drehte Gabis Arme nach hinten und fesselte sie ihm mit Plastikschließen – Gabi hörte das Spannen und Einrasten – auf dem Rücken.
    Er wurde vorwärtsgestoßen. Da er durch dieses Gelände nicht nur einmal in stockfinsterer Nacht gewandert war, wusste er, dass er zwischen den Pflaumenbäumen ans Ende der Plantage, zu einer Stelle, wo es einen ausgetretenen Sandweg gab, geführt und in ein irgendwie offenes Fahrzeug geladen wurde, einen Kleinlieferwagen oder Jeep (in den folgenden Tagen überprüfte er nicht nur die Armbehaarungen aus der Nähe, sondern auch den Fuhrpark des Kibbuz, um dort Hinweise zu finden), und dann nach Süden, bis ans andere Ende der Plantage und des anschließenden Rindergeländes, gefahren wurde.
    Es fiel kein Wort während der ganzen Fahrt. Er wurde auch nicht geschlagen. Alles, was geschah, war, dass man ihm den Mund mit schwarzen Käfern vollstopfte, vielleicht noch anderen Fleischsorten, Insekten, Erde, Steinen, Flüssigkeiten, die wie der Urin gewisser Tiere rochen, weiche Kompaktmassen, deren scharfer, intensiver Geschmack davon zeugte, dass es sich eventuell um die Scheiße bestimmter Tiere handelte, und ihn zwang, es zu schlucken. Schwarze Käfer waren ganz sicher dabei, denn am nächsten Tag im Krankenhaus fand man Teile ihrer Beine zwischen der Spange, die immer noch seine Zähne zierte, und offenbar ein Frosch, denn etwas, das an das Bein eines solchen erinnerte, zeigte sich, als man ihm den Magen ausspülte. Wie lange er dort in dem Wagen war, wusste er nicht mehr. Ab einem gewissen Stadium verlor er das Gefühl für Zeit und Raum zwischen Übergeben und erneuter Mundfüllung. Sie schlugen ihn nicht, fassten ihn aber auch nicht gerade mit Samthandschuhen an. Er wusste nicht, wie viele es waren, sicher waren da der große Mann,

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