Auf fremdem Land - Roman
versäumte. Außer Mutter Gila und Vater Jossi, seinem Bruder Roni und dessen Freundin Jifat hatte er keine Besucher. Ein Einlauf wurde gemacht und sein Magen zweimal ausgespült. Blut und Urin wurden untersucht, um sicherzustellen, dass keine Vergiftungen, Darmentzündungen sowie sonstige schädliche Auswirkungen von jenen nicht zum Verzehr geeigneten Kreaturen, die er geschluckt hatte, zurückgeblieben waren. Es wurde entdeckt, dass er in der Tat von einer Krankheit namens Toxoplasmose befallen war, doch der Arzt meinte, dass sie schon lange in seinem Körper nistete, lange vor der Entführung und dem Gewaltakt. Ob er bereits vor dem Überfall schwarze Käfer und sonstige Kriechtiere zu essen pflegte? Gabi schüttelte den Kopf – nicht seit dem Alter von zwei Jahren. Ob er in Kontakt mit Katzen gewesen sei oder ihre Fäkalien berührt habe? Nein. Ob er in Kontakt mit Tauben gekommen sei oder ihre Ausscheidungen berührt habe? Gabi hörte auf, den Kopf zu schütteln.
Als er nach einigen Tagen entlassen wurde, erbrach er sich weiterhin mit erhöhter Häufigkeit. Nach dem ersten Versuch, am Unabhängigkeitstag ein Stück gebratenes Steak in den Mund zu stecken, wurde er von so schweren Krämpfen gepackt, dass er aufhörte, Fleisch zu essen – sämtliches Fleisch, von jedem Tier, schwimmend, fliegend oder laufend, erweckte vehementen Brechreiz in ihm. Mit Mühe schaffte er es, sich dazu zu überreden, Salat, Käse und Eier zu essen. Einige Jahre lang sollte er keine besondere Freude mehr am Essen haben. Diesmal würde das Käferandenken länger frisch bleiben. Er war kein Zweijähriger mehr. Er war zwölf – und wenn in deiner Zahnspange Käferbeinchen stecken, während auf deiner Zunge die noppige Haut eines Frosches bibbert und deine Lippen den glitschigen Geschmack einer unbehausten Schnecke verspüren, dann wirst du das nicht so schnell vergessen.
Jona, Ejals Vater, hatte glatte Arme. Die anderen Väter von Ejals Freunden hatten glatte Arme. Die Freiwilligen hatten glatte Arme. Baruch Schani hatte behaarte und stramme Arme, aber Baruch war Ronis Freund, und Roni garantierte ihm, dass nicht die mindeste Chance bestand, dass er es getan hatte. Von ihm abgesehen, gehörten die größten und haarigsten Arme im ganzen Betrieb Schimschon Kohen. Und Schimschon Kohen, das wussten alle, hatte in seinem Leben schon viel schlimmere Dinge gemacht, als ein paar Käfer in den Mund eines Zwölfjährigen zu stopfen. Gabi, der sich immer mit Schimschon befreundet gefühlt hatte, sich nicht wie die anderen Kinder vor ihm fürchtete, versuchte, die Theorie zu überprüfen. Er grüßte ihn jedes Mal, wenn er ihn sah, lächelte ihn an, versuchte sogar, ihm ganz nahe zu kommen, um festzustellen, ob er das süßliche Aftershave oder den säuerlichen Schweißgeruch identifizieren konnte. Die Befunde waren nicht eindeutig. Schimschon war weiterhin liebenswürdig zu ihm, lächelte und zwickte ihn in die Wange, ließ weder Feindseligkeit noch Zorn erkennen. Doch Schimschon arbeitete bei den Avocados zusammen mit Jona, Ejals Mutter (nicht dem Vater), so dass eine potentielle Verbindung bestand.
Einige Tage nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, als Roni ihn mit Jifat im Kinderhaus besuchte, fiel Gabi plötzlich auf, wie hübsch sie war, und er begriff, was Roni an ihr fand, warum er jeden freien Moment mit ihr verbrachte. Ihre Augen, braun und tief, lächelten ihn besorgt an, ihre Zähne lachten über Ronis Witze, ihr Kopf nickte zu seinen Versprechungen, Vergeltung zu üben, sich um Gabi zu kümmern, denn mit uns legt man sich nicht an. Gabi sah von seinem Bett aus, halb liegend, wie Ronis Hand die ganze Zeit die ihre berührte, und wie er sich hin und wieder vorbeugte, um sie zu küssen, und einen Kuss zurückerhielt.
Wenn sie nicht an seiner Seite war, redete Roni von ihr. Sie verbrachten fast jeden Augenblick miteinander. Saßen nebeneinander in Unterrichtsstunden, umarmten und küssten sich in der Pause, bis sie von der Aufsichtslehrerin mit einer Verwarnung bedacht wurden, machten sich aus dem Unterricht davon, um sich auf dem Gang zu küssen, schwänzten ganze Tage, um in dem Zimmer im Kibbuz zu bleiben, im Bett, sich stundenlang zu berühren und zu reden. Sie verstand ihn besser zu berühren als er sich selbst, sie sagte, er sei ihr Erster, und er dachte, entweder sie erzählt nicht die Wahrheit und hat Erfahrung, oder sie ist ein Naturtalent, denn sie berührte ihn so vollkommen, wusste genau, wie stark und wie
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