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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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kehrten niedergedrückt zum Kinderhaus zurück.
    Beim Abendessen sah Gabi Roni. Er war allein und setzte sich neben seinen Bruder. »Wie steht’s?«
    »Alles in Ordnung«, antwortete Gabi trübsinnig.
    »Was ist in Ordnung?« Gabi erzählte ihm von den Versuchen, Tauben zu fangen. Roni sagte: »Für was braucht ihr Tauben?«
    Gabi sagte: »Brauchen wir eben.«
    Roni roch nach Zigaretten, und sein Haar war lang geworden. Er überlegte ein wenig, und dann meinte er: »Gut.« Und nachdem er noch ein bisschen nachgedacht hatte, sagte er: »Ich komm in der Früh bei euch vorbei, und dann gehen wir Tauben suchen.«
    Roni kam mit einem Luftgewehr, mit dem sein Klassenkamerad Ziki auf Vögel zu zielen pflegte und, den Gerüchten nach, auch auf Katzen. Sie folgten ihm aus dem Kibbuzgelände hinaus zu einer alten Karawanserei. Auf dem Dach der Karawanserei saßen Dutzende Tauben versammelt, andere flogen her und wieder auf, kehrten zurück, landeten auf den Stromleitungen. Roni näherte sich so weit, wie es möglich war, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen, nahm eine stabile Ausgangsposition ein, drückte den Lauf an seine Schulter und kniff ein Auge zu, legte den Finger an den Abzug und begann zu schießen. Bis die Tauben begriffen, dass sie sich in einem Kampfgebiet befanden, und flohen, waren zwei Pechvögel bereits gefallen.
    Die zwei Jungen wussten nicht, dass man einem Falken die Taubenleiche nicht so servieren durfte, wie sie war. Der Falke blickte die dicke tote Taube an und danach die beiden. Hätte er Schultern gehabt, er hätte sie bestimmt hochgezogen. Hätte er Lippen gehabt, hätte er sicher leise gelächelt. Die Jungen suchten bei Jotams Vater Rat, und dieser erklärte ihnen, dass das Fleisch der Taube gemeint sei. Sie blickten einander an. Logisch. Wer wollte Federn fressen? Andererseits, war das nicht Aufgabe des Falken, an das Fleisch zu kommen? In der Natur hatte er keine Köche, die für ihn das Essen zubereiteten. Als sie nach einer Stunde zurückkamen, befand sich die Taube im selben Zustand wie zuvor. Der Falke hatte sich ihr nicht genähert. Gabi nahm die Taube, ging zu dem Feld draußen neben dem Kinderhaus, und schnitt ihr mit Hilfe des großen Taschenmessers, das Roni zu seiner Bar-Mizwa bekommen und ihm vererbt hatte, zuerst den Kopf ab, dann die Beine und am Schluss die Flügel. Er strengte sich an, nicht durch die Nase zu atmen und nicht allzu genau hinzuschauen, während er den Vogel zerschnitt. Jotam blieb im Hintergrund. Dann schlitzte ihr Gabi der Länge nach den Bauch auf, holte die Eingeweide heraus, säbelte, so gut er konnte, das Brustfleisch der Taube ab und trennte es von den kleinen Knochen. »Bring einen Teller«, sagte er. Er fuhr fort zu schneiden, hörte Schritte, die sich entfernten und zurückkamen, ein Teller landete neben ihm. Hastig warf er die zerlegten Fleischteile darauf, erhob sich aus der Hocke und trug den Teller mit hoch ausgestreckten, blutbefleckten Händen in den kleinen Lagerraum. Er stellte den Teller in den Käfig und ging, um sich die Hände zu waschen. Als er zurückkam, war der Teller sauber. Hätte der Falke eine Zunge gehabt, wäre auf dem Teller sicher kein rosa Blutpfützchen übrig geblieben.
    Roni ließ sich kaum mehr im Kibbuz sehen, und als Gabi ihn eines Tages in der Schulpause in der Jointhöhle, hinter dem Gebäude der Mittelschüler, erwischte, erklärte Roni, er würde in nächster Zeit nicht in den Kibbuz kommen, und das Luftgewehr könne er nicht noch mal ausleihen, auch nicht für Gabi, da er zu jung sei, um damit zu schießen. Nachdem der Falke also das Fleisch der beiden ersten Tauben verschlungen hatte, waren Jotam und Gabi gezwungen, eigene Fangmethoden zu entwickeln. Sie lockten Tauben ans Fenster ebenjenes kleinen Lagerraums im Kinderhaus mit Hilfe von Samenkörnern und allen möglichen Taubenleckerbissen, von denen sie in der Vogelenzyklopädie gelesen hatten, und wenn sich genug eingefunden hatten, scheuchten sie sie hinein und schlossen das Fenster. Das war ziemlich gewitzt, wie sie fanden, aber bald entdeckten sie, dass die Tauben einfach dumm waren. Sie ließen sie ein paar Tage in dem dunklen Raum, damit sie erblindeten. Und dann ging Gabi hinein, packte sich eine Taube – was leicht war, weil der Raum klein und die Taube blind war – und nahm sie zu dem gelben Stoppelfeld neben dem Kinderhaus mit, hielt den Kopf der Taube zwischen Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand, schwang die Hand hoch über seinen Kopf empor, ließ sie

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