Auf fremdem Land - Roman
und er schlief darauf unter freiem Himmel. Sie stellten keine Fragen, was ihm am meisten gefiel, und so lag er gemütlich den ganzen Tag im Sand, nahm sich manchmal eine Schnorchelmaske und drehte eine Runde am Riff, in der Stille, genoss die rhythmischen Schnorchelatemzüge, die Farben, die ihm ins Gesicht explodierten, sich bewegten und entschwanden. Dort, unter Wasser, kamen die Funken in seinem Gehirn, seine Zornwindungen, die knisternden Zünddochte an seinen Nervenenden, zur Ruhe, kühlten sich ab. Auf der Decke unter einem sternenübersäten Wüstennachthimmel gelang es ihm, auf Vater Jossi und Mutter Gila nicht wütend zu sein, sich nicht nach Roni zu sehnen, nicht an Jotam und Ofir und den Speisesaal zu denken. Es gelang ihm, die Augen zu schließen und bis zur Morgenkühle vor Sonnenaufgang in seligen Schlaf zu fallen.
Als er eines Tages um die Luftmatratze und die Schnorchelmaske bat, antwortete eines der Mädchen, Nili: »He, ich will auch!«
»Komm«, sagte er, und sie zogen zusammen los, sie auf der Luftmatratze, die Beine auf der Matratze und die Maske im Wasser, und er schob sie, und sie schauten zusammen die Fische an. Es war schon Nachmittag, die Sonne verschwand über den Bergen im Osten, und die Sicht unter Wasser war nicht optimal, doch das war die Stunde, zu der die Fische aus dem Riff herauskamen, und so beobachteten sie Feuerfische und Kugelfische, sahen einen Oktopus, Seepferdchen, Schmetterlingsfische und Seeanemonen. Gabi deutete, Nili folgte ihm mit dem Blick, und dann sah sie ihn an, und hinter den Taucherbrillen wurden lächelnde Augen sichtbar. Von diesem Nachmittag an saß Nili beim Essen neben ihm, spülte das Geschirr mit ihm, rückte immer näher an seine Decke heran, bis er sie nach einigen Nächten darauf eingeschlafen fand, und in der Früh, als sie aufwachten, lagen sie umschlungen da, schützten einander vor der Kälte des Morgengrauens. Sie lächelte und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen, und dann löste sie sich und ging, ohne ein Wort zu sagen, zu ihrem Schlafsack.
Nili war nicht das hübscheste Mädchen aus der Gruppe, aber sie war das bezauberndste. Ihren ersten richtigen Kuss tauschten sie oben auf dem Aussichtspunkt, nach einer zermürbenden Kletterpartie in der stechenden Sonne, beide am Ende ihrer Kräfte, das blaue Meer unter ihnen, es war ein langer, tiefer, mit Sand angereicherter, zärtlicher Kuss, beide in Badekleidung, sie berührten sich nur an den bloßen Körperpartien, wagten nicht, die Linien zu überschreiten oder die Gummis zu lüpfen, ein süßer, wohlschmeckender, nasser Kuss. Ein Kuss, der ein neues, stürmisches Stadium hätte einleiten sollen, der jedoch nur ein Versprechen blieb.
Am nächsten Morgen, als sie nebeneinander am Strand lagen, bewegte sich die Erde. Er blickte sie an und sie ihn, sie lächelten, und sie legte ihre Hand auf seine und drückte sie. »Hast du gespürt, dass sich die Erde bewegt hat?«, fragte er.
»Ja, ein Erdbeben«, antwortete sie ihm. Um sie herum lief das Strandleben wie immer ab, die Körper räkelten sich, die Schwimmer schwammen, die Fische dösten und die Zelte standen an ihrem Platz. Nili drückte wieder seine Hand und sagte: »Das ist in Ordnung. Das passiert oft hier. Der syrisch-afrikanische Grabenbruch.«
In diesem Moment trafen ein paar neue junge Leute in Ras-Burka ein. Gabi warf einen Blick auf die Gruppe und versteifte sich. Er erkannte eine darunter von weitem, Anna, eine Schulkameradin aus einem Nachbarkibbuz, dem Kibbuz von Jifat, Ronis Exfreundin. Anna, die so hieß, weil ihr Vater ein englischer oder schwedischer Freiwilliger oder so etwas in der Richtung gewesen war – an jenem Tag im Sinai erinnerte sich Gabi nicht mehr so recht, doch er würde ihre Biographie eines Tages noch gut kennenlernen –, der sich im Kibbuz in ihre Mutter verliebte. Gabi ließ die jungen Leute, die ein paar Dutzend Meter von seiner Haifaer Gruppe kampierten, nicht aus den Augen. All die Schichten, die er im Laufe der Wochen mit Sand, Meer, Fischen und Nili von sich abgestreift hatte, kehrten zurück und umschlossen ihn.
»Was ist los?«, fragte Nili und spähte zu den Neuen hinüber. Er gab keine Antwort, beobachtete sie nur weiter. Er hatte sie in der ersten Sekunde erkannt, doch er wollte ganz sicher sein, dass seine Phantasie nicht mit ihm durchging. Er phantasierte nicht. Anna mit dem runden Gesicht und den traurigen Augen, dem einen Grübchen und dem glatten, dunklen Haar, mit einer Frisur, die er nicht
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