Auf fremdem Land - Roman
Zefat machte. Er sei für das Lager verantwortlich, was eigentlich hieß, dass er gar nichts tat, denn niemand brauchte etwas aus diesem Lager. Was er also die ganze Woche lang machte, war, dass er Büchsen mit Farbresten aus dem Lager nahm und die Seitenwand seines Wohncontainers mit einem Haufen Farben anpinselte, rund und spiralförmig, ineinander schmelzend und strudelnd, ein Kunstwerk in der Größe von 4,25 auf 2,80 Meter, das er in einem Eck signiert hatte: »Roni Kupfer, ein Soldat, der ging und verschwand – 1989«.
»Wir beide sind alles, was wir haben«, sagte er zu Gabi. »Alles. Soll sich die Armee ins Knie ficken und die Einheit gleich dazu. Wenn ich gedacht habe, dass ich dich mitten auf dem Orientierungsmarsch sehe und in diesen Kibbuz reingegangen bin und angefangen habe, mit Leuten zu reden – ich erinnere mich an null, aber sie sagen, das hätte ich gemacht –, dann musste das eben passieren. Das war es, was mich gelenkt hat. Du hast mich geführt. Und du bist mir wichtiger als alles andere.«
»Es tut mir leid«, sagte Gabi zu ihm, legte eine Hand auf die von Roni, spürte, wie eine kleine Saite in seinem Herzen schwang.
»Es braucht dir nicht leidzutun. Hauptsache, du bist heil zurückgekommen. Das ist das Wichtigste.« Außerdem machte ihm, wie Roni bald klar wurde, das Lager des Nachrichtendienstes in Zefat ziemlichen Spaß, es war viel lustiger, als sich den Arsch auf irgendwelchen Buckeln im Negev oder auf den Golanhöhen aufzureißen, um irgendeinen Punkt zu erreichen, den jemand auf die Landkarte gemalt hatte. Die Arbeit war leicht und kurz, die Abende hatte er frei, und er ging in den Kibbuz hinunter, wann immer er Lust hatte, und die Mädchen – die Mädchen, jin’al dinak , verdammt wollte er sein!
Die Rekrutenausbildung
Wenn Gabi den Militärbehörden von der Flucht und den gewalttätigen Zwischenfällen erzählt oder sich einer professionellen psychologischen Behandlung unterzogen hätte, so hätte er höchstwahrscheinlich sein Tauglichkeitsprofil mindern und eine Befreiung vom Dienst in der kämpfenden Truppe oder vom Militärdienst überhaupt erhalten können. Es gab Menschen in seiner Umgebung, zum Beispiel Vater Jossi, die ihn dazu ermunterten. Doch er wollte sich freiwillig zur kämpfenden Truppe melden, erzählte niemandem davon, ließ sich mit erster Priorität für die Golani-Brigade registrieren, mit zweiter für die Golanis, gab keine dritte Wahl an und landete bei der Technikeinheit der kämpfenden Truppe. Gleich in der Grundausbildung wurde er nach Gaza verfrachtet, und man drückte ihm einen Raketenwerfer mit Tränengasgranaten in die Hände. Seine Rekruteneinheit brach zu einer Patrouille im Flüchtlingslager Dschabalija auf, ein Lager, das der Offizier, der eine Rede vor ihnen hielt, als »nicht feindselig« definierte, weshalb eine Rekrutenkompanie hingeschickt wurde. Gabi und seine Kameraden, Absolventen einer halben Grundausbildung, marschierten in zwei Reihen eine große Sandstraße entlang. Rauch stieg von einem brennenden Reifen auf, stach sengend in die Nase. Sie betraten die Lagerpfade, schritten zwischen brüllenden Kindern hindurch, die schwarz vor Dreck waren und mit Lumpen spielten, und Frauen in langen Gewändern mit ausladenden Leibern, wie plattgedrückten Gesichtern und spöttischen, unfreundlichen Augen. Manchmal sah Gabi die schönen, grünen Augen eines Mädchens, doch im Allgemeinen konzentrierte er sich stur auf die Hacken des Soldaten vor ihm.
Vier Tage gingen sie auf langsame, öde, stinkende Patrouillen, ohne die Tränengasgranaten zu benutzen. Am fünften Tag stießen sie auf Jugendliche, die Steine warfen. Der Kommandeur hielt an und duckte sich, der Rest der Soldaten tat es ihm gleich. Danach richtete er sich auf, bezog Deckung hinter einer Hausmauer und befahl ihnen, sich hinter ihm aufzustellen. Es war nicht genügend Platz für alle, und ein Teil blieb in Treffweite der Steinewerfer.
»Gas!«, schrie der Kommandeur. Gabi verstand nicht, dass er gemeint war. »Gas!«, brüllte der Offizier wieder, und erst als ihn jemand mit dem Ellbogen am Arm anstieß, sprang Gabi erschreckt auf und hastete zu dem Kommandeur. Dieser befahl ihm, die Gasgranaten in einem Bogen in Richtung der Steinewerfer abzuschießen. Gabi nahm den Raketenwerfer von der Schulter, und ihm fiel ein, dass er nicht gelernt hatte, wie man ihn benutzte. Bei der ersten Patrouille hatten sie zu ihm gesagt, es sei keine Zeit dafür, man würde es ihm nachher erklären.
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