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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Schabbat respektierst, die koscheren Speisevorschriften einhältst, die religiösen Gebote. Du entweihst den Schabbat immer wieder, sagen wir mal, nicht absichtlich. Ich nehme es hin und verzeihe. Aber jetzt gehst du auch noch auf mich los? Kannst du dich nicht zurückhalten? Wenn du das, was mir in der Seele brennt, nicht fühlst, in Ordnung. Aber verachte es wenigstens nicht.«
    »Ich verachte es nicht.« Roni zog seine blaue Zigarettenschachtel heraus, während sie den Hof betraten. »Es ist angenehm draußen, wollen wir uns noch ein bisschen hinsetzen?« Roni ließ sich auf dem Liegestuhl nieder, neben der Donald-Duck-Wippe von irgendeinem Spielplatz, die zur Seite gekippt hing.
    »Nein«, antwortete Gabi und ging in den Wohnwagen hinein.
    Roni rauchte. Die Dunkelheit verdichtete sich. Er hatte gelernt, die Nächte an diesem Ort zu lieben. Anfangs hatte ihn die Stille gestört. Er hatte sich im Schlaf nach dem endlosen Raunen der Großstadt gesehnt, war manchmal sogar von dem Unbekannten aufgewacht, das die Stille in sein Inneres sickern ließ, die Bedrohung, die davon ausging. Doch inzwischen ergab er sich dem nächtlichen Schweigen, deckte sich damit zu wie mit einem Federbett. Er spulte im Kopf die Diskussion mit Gabi ab, und auf einmal fiel ihm ein, wie er Miki das letzte Mal gesehen hatte – ein kleiner, blonder, unternehmungslustiger Junge. Sein Herz zog sich zusammen. Vielleicht hatte Gabi recht. Er hatte es nicht verdient, dass Roni auf ihn losging.
    Er ging hinein, als er die Zigarette fertig geraucht hatte. »Ich wollte dich nicht aufbringen.«
    »Dann tu’s nicht. Warum regelst du nicht die Angelegenheiten, die du zu regeln hast, und ziehst weiter, löst die Probleme und kehrst zu deinem Leben zurück?« Gabi richtete seinen Blick auf Roni. »Es ist nicht, weil ich nicht will, dass du bei mir bleibst, ehrlich, sondern für dich. Du schläfst den ganzen Tag, beschäftigst dich mit diesem blöden Olivenöl, bei dem ich nicht weiß und auch nicht wissen möchte, mit welchen Trickgeschäften du daraus Geld zu schlagen versuchst. Ich richte nicht dich, sondern dein Leben. Wieso versuchst du nicht, dich selbst von der Besessenheit zu heilen, von diesen Begierden? Ich rufe aus tiefster Seele zu meinem Herrn für dich, rufe, schreie und flehe zu ihm, dass er dir hilft, so wie er mir geholfen hat.«
    Roni legte eine Hand auf die Schulter seines Bruders. Er sagte: »Danke, Gabi. Ich weiß, dass du es gut meinst mit mir.« Er ging, um für sie beide einen Nescafé zu machen, und sie setzten sich damit ins Wohnzimmer. Und noch bevor es Gabi gelang, die Hand nach den Büchern auszustrecken, erzählte ihm Roni, warum er am Hügel gelandet war.
    »Nach der Armee, nach dem Kibbuz, nach Mutter Gila. Ein Kibbuznik in Tel Aviv. Die Wohnung in der Schlomo Hamelech. Die Goldfische. Die Bar am Rabin-Platz, damals noch Malkei-Israel-Platz, Bar Barabush. Die Geschäftspartnerschaft mit Oren Azulai. Du erinnerst dich, stimmt’s? Die guten Tage, die fröhlichen Neunziger – die großen Augen. Immer noch mehr und mehr und mehr: Mehr Mädchen, mehr Business, mehr Geld.«
    Er erzählte von der Begegnung mit Idan Levinhof, der ihm die Augen für die New Yorker Finanzwelt öffnete und ihm half, dorthin zu gelangen. Von seinem B.A. in Tel Aviv und dem M.A. in Businessmanagement in New York. Von der Investmentbank Goldstein-Lieberman-Weiss und seinen privaten Kunden, den endlosen Tagen vor den Bildschirmen und dem Adrenalinpegel des Aktienhandels und des Geldes – phantastische Summen von Geld, die er gemacht hatte. Und so oft er es ihm auch erklärte, Gabi begriff nicht, wie es sein konnte, dass nichts davon übrig geblieben war, im Gegenteil, dass er am Ende mit Schulden dastand, die zurückzuzahlen er keine Chance hatte.
    Es war der lange Monolog von jemandem, der sich die Geschichte viele Male selbst im Kopf erzählt hatte; jemandem, der den Ehrgeiz, die Ziele und die Beweggründe bis zur Erschöpfung analysiert hatte und sie dennoch nicht endgültig durchschaute. Die Spekulationen, die Aktienwetten, die Erfolge, die Fehler, die seine kurze, kometenhafte Karriere während einiger Monate in dem hochdramatischen Herbst der amerikanischen Wirtschaft in einen mörderischen Strudel münden ließen, dessen Ende ihn an jenem Wintertag im Februar von San Francisco direkt hierher ins Westjordanland gebracht hatte, mit einem eleganten Hugo-Boss-Anzug am Leib, durchgescheuerten Socken und sonst so gut wie nichts in seinem Besitz.
    Gabi

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