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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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nachdem der letzte Sonnenstrahl verdämmert und Heiliges in Profanes übergegangen war, schritten die Brüder Kupfer-Nechuschtan von der Synagoge zu dem Haus, das man bereits als ihr Heim bezeichnen konnte. Sie schritten in einer Stille, die nur hin und wieder von Beilins und Kondis unregelmäßigem Gebell durchbrochen wurde. Gavriel war verstört über Ronis Entweihung des Schabbats. Er fragte sich, ob er ihm gegenüber eine Bemerkung machen oder den Rabbiner nach dem Maß seiner Mitverantwortung fragen sollte. Er beschloss, eine SMS an den FRANS , den Frage- und Antwortservice des Mobiltelefons von Rabbi Aviner zu schicken: »Wenn ein Säkularer zu Gast kommt, bin ich für seine Entweihung des Schabbats verantwortlich, zum Beispiel ein milchiger Löffel in einem fleischigen Spülbecken oder das Einschalten von Licht?« Der Rabbiner sagte ihm immer, er solle fragen und sich nicht quälen und abplagen, denn für einen Neuorthodoxen, der zur jüdischen Religion zurückgekehrt sei, gebe es eine Menge Vorschriften zu lernen, und er müsse entscheiden, welche davon er annehmen wolle. Das war nicht so natürlich wie bei jemandem, der in einem religiösen Haus aufgewachsen war. Ihm fiel ein Beispiel ein, das ihm der Rabbiner gegeben hatte: Am Schabbat ist es erlaubt, eine Schere zu benutzen, um eine Milchtüte zum Zweck der Ernährung aufzuschneiden, doch es ist verboten, Papier zu schneiden – wie soll der Neuorthodoxe so etwas wissen?
    Roni gähnte. Gleich würden sie zu Hause eintreffen, und Gabi würde in seinen Büchern lesen, den frommen Sammelwerken, den Legenden und dem Schulchan Aruch , und Roni würde sich hinlegen und in die Luft starren, und dann würde er schlafen gehen und in der Früh weiterschlafen, während Gabi schon auf den Feldern arbeiten oder Balken für sein Zimmer festnageln würde.
    »Das war schön«, bemerkte Roni.
    »Was war schön?« Gabi fragte sich, ob sein Bruder den Havdalasegen am Ende, das Gebet oder den Schabbat insgesamt meinte.
    »Ein neues Kind. Man empfängt es in Ehren und mit Freude. Mit Liebe.«
    Gabis Hände waren hinter dem Rücken verschränkt. Er lächelte bedrückt in sich hinein, die Quaste seiner großflächigen weißen Kipa pendelte mit jedem seiner Schritte.
    Roni warf einen Blick zu seinem Bruder hinüber. »Hast du keine Lust auf noch eins?«
    Gabi gab keine Antwort. Seine Augen waren in die Erde gebohrt. Ein vertrauter Schmerz lähmte ihn – der brennende Schmerz, der ihn jedes Mal schneidend durchzuckte, wenn er an seinen kleinen Sohn erinnert wurde, den er schon lange Jahre nicht mehr gesehen hatte. Sein Miki.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, sagte Roni.
    »Vielleicht. Vielleicht hätte ich gerne noch eins. Alles liegt in der Hand des Herrn.«
    »Nur in der Hand des Herrn? Hängt das nicht auch ein bisschen von dir ab? Ob du willst? Ob du dir eine dazu suchst?«
    »Ich warte.« Roni würde nie im Leben verstehen, dass ein neues Kind kein Ersatz für das Kind war, das er gehabt hatte, dachte Gabi.
    »Du hast gesagt, dass Rabbi Nachman gegen die Verzweiflung gewettert hat und gegen … wie war das noch gleich? Traurigkeit und finstere Bitternis und alles so was.«
    »Komme ich dir traurig vor? Die Leiden sind große Wohltaten, denn die Absicht des Herrn, gepriesen sei er, gereicht sicher nur zum Guten, so dass in allem Übel und Leiden, die der Mensch, der Herr bewahre, erfährt, die Absicht des Herrn, gelobt sei sein Name, wenn man den Zweck betrachtet, die ist, dass er überhaupt kein Leiden haben wird, sondern im Gegenteil, von Freude erfüllt …«
    »Ja, du kommst mir ein bisschen traurig vor«, unterbrach ihn Roni, ignorierte die Spruchlitanei.
    »Schau an, wer hier predigt. Du redest mit mir über Kinder? Von einer Frau? Du, wo du nach Amerika gerannt bist, und für was? Geld? Und sogar das …«
    »Lass mich mal einen Moment beiseite. Was ist mit dir, Gabi? Bist du dir sicher, dass es dir gut geht so?«
    »Todsicher. Mir geht es prächtig. Ich bin überrascht, dass du fragst. Es ist ein religiöses Gebot, eine gute Tat, im Zustand der Freude zu sein. Ich hätte nicht gläubig werden können ohne Freude. Der Glaube ist Freude. Traurigkeit führt zu Götzendienst und Verleugnung.«
    »Für mich hört sich das eher an, als ob du dich anstrengst, dich mit diesen Sprüchen selber zu überzeugen.«
    »Roni, du benimmst dich nicht anständig. Du bist Gast hier. Du bekommst, was du brauchst, ein Bett und Essen. Alles, worum ich dich im Gegenzug bitte, ist, dass du den

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