Auf fremdem Land - Roman
vorenthalten für eine Handvoll Geldscheine? Und vielleicht hatte Roni ja recht, und es war eine besondere Gelegenheit, eine sichere Wette, und das geliehene Geld würde schnell zurückfließen und sogar den versprochenen Zins abwerfen? Gabi wollte sich mit dem Herrn beraten, mit dem Rabbiner, mit den Büchern.
Roni ging hinaus, setzte sich in den Hof und rauchte eine Zigarette. Er kam wieder, wartete noch ein Weilchen, und schließlich sagte er bitter: »Warum sagst du nichts?«
»Schweig. Es heißt, du sollst schweigen, denn dies befördert das Denken, das über dem Reden steht. Denn der Zaddik enthält sich des Redens.«
Roni schüttelte frustriert den Kopf. Er holte sich ein Glas Wasser vom Hahn und setzte sich in den Sessel. Dann sagte er: »Du bist früher anders gewesen. Offener, neugieriger. Ich weiß nicht.«
»Und was hat mir das genützt?«
Diesmal blieb Roni die Antwort schuldig.
»Ist es besser, Bars in Tel Aviv zu betreiben?«, fuhr Gabi fort. »In Amerika die Millionen deiner Kunden, deiner Bank und deine eigenen zu verlieren und vor der Verantwortung zu fliehen? Almosen einzusammeln für irgendein zweifelhaftes Geschäft mit Arabern?«
»Ich entschuldige mich nicht dafür, dass ich Geschäfte gemacht und gut gelebt habe. Ist dein Leben kostbarer? Bist du glücklicher? Bist du wertvoller? Was sagen diese Werte – schweigen? Beten? Aufhören, am Freitag zu einer bestimmten Stunde Strom zu benutzen? Ich verstehe das nicht.«
»Ich weiß, dass du es nicht verstehst«, erwiderte Gabi. Ein leicht kassierter Punkt.
»Dann erklär’s mir. Was gibt dir das, pausenlos Dinge zu lesen und einzustudieren, die irgendein ukrainischer Rabbiner vor zweihundert Jahren gesagt hat, der dir gesagt hat zu schweigen oder zu singen oder dich zu freuen, ana aref , und was weiß ich?«
»Er gibt mir Frieden«, antwortete Gabi. »Er gibt mir Ruhe, Liebe, Freude. Es fällt dir aus irgendeinem Grund schwer, das zu akzeptieren, vielleicht versuchst du mit Gewalt, es nicht zu sehen.«
»Vielleicht versuchst du mit Gewalt, es zu sehen?«
»Ich versuche gar nichts. Ich fühle. Fühle mich daheim.«
»Welches Daheim, was für ein Zuhause? Ein illegales Haus, laut Gericht. Fühlst du dich auch zu Hause, wenn sie bei einem Jeep der Armee, der euch bewacht, die Reifen aufschlitzen? Gibt es einen Spruch dazu? Was ist mit dem Gesetz?«
»Besser Respektlosigkeit dem Gesetz gegenüber als Respektlosigkeit dem Herrn gegenüber.«
»Was ist mit Respekt gegenüber den Menschen?«
»Du redest plötzlich von Menschen? Alles, was dich interessiert, ist doch bloß dein lächerliches Olivenölprojekt. Denk nicht, dass die Menschen hier das mögen. Die Leute reden. Fragen, wie lange du bleibst. Warum wir dich beherbergen, wenn du mit Arabern arbeitest. Du willst, dass ich dir dafür Geld leihe?« Gabis Stimme wurde schrill. Er wollte diese Konfrontation nicht, aber wenn Roni darauf bestand, dann bitte, sollte er die Wahrheit erfahren.
»Ah, darum geht es. Kapiert. Ich arbeite mit dem grausamen Feind, ich bin ein wertloses und zynisches Stück Scheiße und will bloß Geld machen. Aber sich gegen Heuchelei und Gewalt zu stellen und mit Menschen zu arbeiten, die letzten Endes ziemlich arm dran sind, das ist wertlos? Man redet über mich? Schön. Sollen sie kommen und es mir ins Gesicht sagen. Sollen sie mir sagen, dass ich gehen soll.«
Gabis Gesicht blieb unbeeindruckt. »Ich sehe, du hast dir das Gerede der extremen Linken angeeignet. Ich bitte dich. Die Araber sind arm, die Araber sind Heilige, die Araber, die Araber, die Araber …«
»Die Araber sind wohl auch daran schuld, dass deine Frau und dein Kind dich nicht mehr in ihrer Nähe dulden, was?«, schrie Roni. »Die Araber und die profanen Werte, die Begierden des Beischlafs und des Mammons. Ja? Aber das Land Israel heiligen und den Herrn rühmen und schweigen – das lässt Miki und Anna vergessen, stimmt’s?« Roni hätte noch mehr zu sagen gehabt, doch der Blick seines Bruders hielt ihn ab. Er ging nach draußen, bis zum Ende des Hügels hinunter, zu den glänzenden Sternen, die im Wind flogen, hinaus zur dunklen Nacht. Als er zurückkam, schlief Gabi schon. Aber auf dem Tisch wartete ein Scheck auf Roni.
Der Verdächtige
Ein paar Tage später, in den Abendstunden, klingelte Gabis Telefon. »Gavriel Nechuschtan, Schalom«, sagte er. Der Name ließ immer noch ein Lächeln in Ronis Gesicht aufsteigen. »Ist für dich«, sagte Gabi. Das Lächeln wich einem
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