Auf Inseln (German Edition)
Beängstigendes, war aber in einem anderen Zwischenreich angesiedelt, von dem auch angenehmes ausging. Ich mochte es immer noch, alleine ausgedehnte Spaziergänge zu machen. Meine Wege führten immer wieder zu diesem Meer, welches vom Gros der Bevölkerung New Avignons als bedrohlich und unheimlich empfunden wurde. Die meisten von ihnen konnten sich auch keinen Strandurlaub in New Havanna oder an unseren eigenen Küsten vorstellen, was dazu führte, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden so verschiedenen Inselreichen nicht besonders üppig waren. Vielleicht hartnäckige zehn Prozent mochten das Meer, auch wenn es ihnen unheimlich blieb. Manche trauten sich sogar ins Wasser, ein Abenteuer, von dem eigentlich abzuraten war. Ich wusste von der Bedeutung des Meeres für die Geschichte der Menschheit. Für Insulaner auf der Erde war es typisch, eine innige Beziehung zum Meer zu haben. Sie ernährten sich durch es, befuhren es und trieben Handel. Das Meer hier, mit seinem giftigen Getier, mit seiner tiefblauen, aber auch manchmal dunkelgrauen Farbe schien den Wahnsinn anzudeuten, der jenseits des Meeres, auf den Kontinenten, auf uns wartete. Paul schien es ernst zu meinen. Er wollte Versuchskaninchen sein und drängte mich zur Teilnahme. Ein Job, der unsere nächtlichen Ausschweifungen ein bisschen verlängern konnte. Ich war für den Wahnsinn prädestiniert, dachte ich mir. Sticherprobt! Ich schien zu verdrängen, welches fieberndes Würmchen der Stich aus mir gemacht hatte. Wollte ich wirklich nochmals völlig eingeschüchtert, völlig klein in Gottes höhnische Fratze schauen, die letztendlich nur eine schwitzende, blutende Tapete war, aber auch das war widerlich, nicht nur weil sie roch. Ich hatte eine gewisse Resistenz gegen die Kameras entwickelt und bildete mir ein, dass meine Paranoia gegenüber ihnen und dem klerikalen System, was dahinter stand, so groß war wie bei jedem anderen Gestrauchelten. Bildete ich mir ein. Ein kleiner Joint, und meine Wirklichkeit wurde zu einem Kaleidoskop vielfältiger und unheimlicher Gefahren in recht beängstigenden Unfarben. Ich war der geeignete Testkandidat für den Wahnsinn. Paul wollte, dass ich mich nächste Woche an die Kommission wandte, um in ihr Programm aufgenommen zu werden. „Meine Herren, ich bin für ihre Unternehmung besonders geeignet. Sticherprobt und auch erprobt im Umgang mit verbotenen Drogen, Drogen, die schon auf der Erde verboten waren, obgleich auf der Erde ja fast alles erlaubt war, zeitweise und regional betrachtet. Die Böen des Wahnsinns wehen mich um, wie – mir fiel kein passender Vergleich ein – wie ein Kartenhaus auf Sand gebaut. Der Wahnsinn hat mich sofort im Griff. Könnte es einen geeigneteren Kandidaten für ihr Projekt geben. Wenn ihre Medikamente mir helfen, sodass der Wahn, der von den Aborigines ausgeht, mir nichts anhaben kann, so wirken diese bei jedem in unserer Gesellschaft.“
Ich vermied in diesen fiktiven Gesprächen zu erwähnen, dass ich an sich schon wahnsinnig sei. Ich liebte es solche Gespräche im Kopf zu haben, Gedanken, die sich entwickeln konnten, wenn ich allein und frei am unheimlichen Gestade entlang wanderte. Man konnte schlecht Psychiatriepatienten in das Projekt aufnehmen, da die Mittelchen, die der Forschung zur Verfügung standen, nicht in der Lage waren, den ureigenen Wahn der Patienten, ihre tägliche Dauerhalluzinationen, ihr krankes Gedankenkorsett zu entfernen. Durchschnittsbürger waren gefragt, um sich dem Abgrund der Aboriginieseelen zu stellen. Es gab Fotos von den Aborigines, von Mutigen, halb verrückt mit Tele aufgenommen. Putzige kleine Kerlchen, aufrecht gehend mit Fell, die so eine Art Steinzeitkultur über den gesamten Planeten verbreitet hatten. Gab es zwei Geschlechter? Ein Ketzerspruch sagte: Siehst du in das Antlitz eines Aborigines, siehst du in das Antlitz Gottes. Vermutlich war die Wirklichkeit komplexer und vielschichtiger. Schaute man in das Antlitz eines Aborigines, wurde man dem Wahn von Tausend Gottheiten ausgesetzt. Der christliche, neokatholische Gott war bei den Aborigines nur einer unter vielen, seiner Allmacht beraubt, in einem Reigen von Gottheiten, bunt und schrill, die unseren leicht in den Schatten stellen konnten und die nicht zögerten, mit unsereinem ein verwirrendes Spiel zu führen.
Unsere Gesellschaft war weder demokratisch noch
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