Auf Inseln (German Edition)
gerecht. Es gab keine freien Wahlen, jedenfalls nicht für das Gros der Bevölkerung. Die Bischöfe wurden gewählt, von ihnen selbst. Der erste Bischof, der jeweils den Namen Petrus annimmt, hatte unglaubliche Macht, nahm sein Amt bis zum Ende seines Lebens wahr, was auch im Allgemeinen für die gewöhnlichen Bischöfe galt. Jeder Bischof war zugleich weltlicher und kirchlicher Herrscher. Die Unterscheidung war an sich sinnlos, denn die Trennung zwischen Kirche und Staat gab es noch nicht mal in der Theorie. Von der Geschichte der Menschheit auf der Erde kannte ich dieses gesellschaftliche Modell, das nicht einer kühnen Utopie entsprang, sondern einem Jahrhunderte alten Machtkampf. Wenn ich es richtig überblickte, war die politische Freiheit auf der Erde immer die Ausnahme, während das freie Wirtschaften sich insgesamt durchsetzte. Politische und wirtschaftliche Freiheiten stellen gewissermaßen einen Gegensatz dar. Auch in New Avignon gab es ein freies Wirtschaften unter den Auflagen der Pfaffen. Alles gesellschaftliche Tun war eingebettet in der neokatholischen Moral, seinem Kodex. Autoritäre Pfaffen sorgten für deren Umsetzung, mit Mitteln der Einschüchterung, gegebenenfalls mit Gewalt. Die Pfaffenpolizei folterte in ihren Verhörstuben und Gefängnissen. Es gab keine unabhängige Gerichtsbarkeit und so etwas wie freie Rechtsanwälte, selbst Pflichtverteidiger gab es nicht. Kein Zweifel, die neokatholische Kirche war gerecht, wozu brauchte man eine Verteidigung. Es gab so was wie eine weltliche Anwaltschaft, die sich Reichere leisten konnten, denn selbstverständlich gab es Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Reichen und diese hatten beratende Funktion, aber wenn der Staat der Kläger war, waren sie eh außen vor. Es gab nicht unerheblichen Reichtum, der sich jenseits der Pfaffen angesammelt hatte, aber der Hauptbesitz lag in den Händen der Kirche, sodass eine bürgerliche Revolution keine Chance hatte. Wozu auch, arrangierte man sich mit den Pfaffen, konnte man es zu etwas bringen. Weltliche Milliardäre wie Charles Theron und Hugo Scheffener hielten sich bedächtig zurück, um einer möglichen Enteignung zu entgehen. Eigentlich wurde von ihnen erwartet, dass sie ein geistiges Amt anstrebten. Es wäre ihnen offiziell möglich gewesen, Polygamie auszuleben. Jedem Pfaffen war es erlaubt, mehrere Frauen zu ehelichen. Dadurch erklärte sich auch eine gewisse Beliebtheit dieses Berufsstands. Nicht ehelicher Sex war verpönt und unter Strafe gestellt. Frauen wie Margarete und Katharina gingen ein nicht unerhebliches Risiko ein, wenn nicht das Auge der kirchlichen Doppelmoral systematisch zugedrückt wurde, um Jungs wie uns und Frauen wie Katharina ein Ventil zu schaffen. Die Gefahren waren schlecht abzuschätzen, Sex mit Huren konnte mit bis zu einem Jahr Knast bestraft werden, unehelicher Sex konnte leicht als Prostitution umgedeutet werden, der Willkür waren keine Grenzen gesetzt. Ich hatte ein paar entfernte Bekannte, die es erwischt hatte, die für kurze oder längere Zeit in den kirchlichen Lagern verschwanden. Huren wurden öffentlich ausgepeitscht - was für manchen einen gewissen Reiz und Unterhaltungswert hatte - bevor sie verschwanden, wohin, konnte keiner so genau verfolgen, der außerhalb dieser Organisation stand, womöglich in die Privatgemächer eines Bischofs. Womöglich waren viele Insassen bestimmter abgeschlossener Nonnenkloster ehemalige weltliche Huren, nun Huren Gottes, und es war nicht auszuschließen, dass diese Klöster gehalten wurden für große Feste, die die Bischöfe ihresgleichen und ihren Schergen gaben. Die Pfaffen wussten wohl, mit Talenten sorgsam umzugehen. Womöglich wurden diese Frauen nach einer Strafe dafür eingesetzt, Leute wie mich auszuhorchen, ohne dabei auf ihre frühere Berufung verzichten zu müssen. Wie weit waren meine Haschfantasien von der Realität entfernt? War Katharina inzwischen in einem Umerziehungslager, wurde sie zu einer Pfaffenhure gedrillt, vorbereitet für ein Leben hinter Klostermauern, um der Lust der Kirche zu dienen? Wo war Katharina? Frauen wie sie machten sich per se verdächtig, zogen vielleicht von einer Stadt zur anderen, was zusätzlich staatlicher Aufmerksamkeit auf sie zog. Der staatlichen Überwachung entging keiner. Wie sah das offizielle Leben der Katharina aus, ihre Legende? Vielleicht waren wir als harmlos eingestuft worden. Man hätte nun Beweismaterial gegen uns in der Hand, dass man bei Belieben gegen uns einsetzen
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