Auf Inseln (German Edition)
vorstellen, dass so eine Art Hinduismus von den Kleinen gepflegt wurde, aber möglicherweise hatten sie es nie geschafft, die Idee von Göttern und Gott zu entwickeln, womöglich sahen sie in uns Götter, die ihnen nie nah waren, die sie mieden, die immer vor ihnen flohen, ohne jemals die geweihten Opfergaben annehmen zu können. Würde ich, eine nicht unbedeutende Gottheit, es schaffen, eine Opfergabe anzunehmen? Ich wollte nichts verschmähen. Wir waren vier Männer auf dem Schlauchboot, die beiden Frauen und ein weiterer Mann waren auf dem zweiten Boot, das circa 300 Meter hinter uns zurücklag. Je näher wir zur Küste kamen, umso mehr horchte ich in mir herein, ob ich einen Tick verrückter oder religiöser wurde. Paul träumte insgeheim davon, diesen Kontinent zu besiedeln, diese Welt für die Menschheit zu erobern, und ich dankte einem imaginären Gott, das unsere Bischöfe und die sozialistische Einheitspartei – ein Widerspruch in sich, da es keine andere Partei gab - weiser waren. Für Paul war Projekt Epsilon ein Versuch, die Aborigines in den Griff zu kriegen, auch wenn er glaubte, dass die Medikamente nicht griffen. Für ihn war es ein Schritt in die richtige Richtung. Wann würde sich seine „intelligente“ Naivität legen? Wir bewegten uns auf ein Stück Wald zu; die Chance unmittelbar auf Aborigines zu treffen, war gering. Konnten sie unsere Nähe spüren, uns telepathisch wittern, ihre Götter, um uns Opfergaben zu geben? Ich zweifelte, dass es Sinn machte, in einer Gegend mit Wald, womöglich Urwald, an Land zu gehen, aber wir hatten nun keine andere Wahl mehr. Der Wellengang war so gering, dass es für Paul kein Problem war, unser Boot sicher ans unbekannte Ufer zu bringen. Die Gezeiten auf unserer Welt waren etwas geringer als die auf der Erde. Nur in dem Fall, dass unsere Sonne und die beiden Monde Saint Paul und Saint Peter in einer Linie standen, war der Gezeiteneffekt annähernd so groß wie der normale auf der Erde. Es war kein Problem, Land zu betreten, das Boot zu sichern, sodass es auch in Gefahr, jederzeit einsatzbereit war. An geeigneter Stelle, nicht weit von den Booten, errichteten wir ein Lager, bauten Zelte auf, alles in dem Bewusstsein, dass wir diese Stätte fluchtartig verlassen mussten. Ein bisschen komisch war mir schon, vielleicht ein Zeichen, dass sie nicht weit waren. Verwirrend die Vegetation, die sich unseren Augen bot. Schwere Gerüche lagen in der Luft. Es war eine Art Nadelbaum, der hier dominierte. Er erinnerte etwas an eine Eibe, die ich von antikem Bildmaterial her kannte. Die Vegetation war hier so anders als in New Avignon, wo Erdenpflanzen die Flora beherrschten. Wir hatten unsere Pflanzen, Bäume, Nutzpflanzen, Blumen, Getreide mit von der Erde gebracht, alles gedieh hier prächtig. Einheimisches fiel nicht mehr auf, nur selten und nur in unberührten Bergregionen von New Avignon wuchs das, was diese Welt hervorgebracht hatte. Wie bizarr, wie fremd sah diese Pflanzenwelt aus, die das selbe Grün wählte wie unsere Erdpflanzen. Ihr Grün beinhaltete auch Chlorophyll, weil unsere Sonne so ähnlich wie die Sonne der Erde war. Die Pflanzen auf Helenas Planeten, in rotes Licht getaucht, mochten andere Farben haben, der klare Himmel hatte eine andere, ebenso die Meere, die es geben musste. Ein putziges, flüchtiges Nagetier erschreckte mich nicht sonderlich und schien auch keine Art von Wahnsinn auszulösen. Paul schien völlig geistig abwesend. Mit glänzenden Augen saugte er diese fremde Welt auf, die seiner Ansicht nach, unsere sein musste. Wir alle hier wurden von diesem fremden Land in Bann gezogen, sodass womöglich der Wechsel zum Wahn gar nicht so auffiel.
Es herrschte eine ausgelassene, alberne Stimmung vor, die öfters durch den Funkkontakt mit der Sankt Bonifazius unterbrochen wurde. Ich versuchte die beiden Frauen dazu zu bewegen, ihre schwarzen Kopftücher abzulegen, vergebens. So bewahrten sie ihre Weiblichkeit, die ich vielleicht danach nicht mehr hätte entdecken können. „Keine Kameras weit und breit, die den Sündenfall aufdecken könnten“, scherzte ich. Der Cocktail machte mich offensichtlich unvorsichtig. Ich hatte kein Problem damit, mich als Dissident in Glaubensfragen und Staatsräson zu outen. Das stand alles völlig widersprüchlich zu meiner Absicht, Projekt Epsilon als eine Chance für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu nutzen. Ich wollte später sagen: „Ich habe mich für die Gesellschaft eingesetzt. Gebt mir
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