Auf Inseln (German Edition)
über seine Geilheit und Schlechtigkeit war, zu drehen. Mir wurde übel, ich musste mich übergeben, was zeitweilig den Tränenfluss zu stoppen brachte. „Alles Okay bei euch?“, meldete sich unser Funkgerät. Völlig unnatürlich lachend bestätigte Paul mit dem Zusatz, dass sie da seien. Ich griff nach dem Gerät. „Alles Ok. Mir ist kotzübel. War eine Zeit traurig, weil …“ - „Haltet durch. Wenn ihr nicht mehr könnt, zurück!“ Ich verstand die Botschaft des Funkgeräts, das zu leuchten begann. Meine nassen Augen guckten gegen den lichten Wald, aus dem ein Bischof, dessen Mitra und Soutane in unnatürlichen Farben leuchteten, mit einem kleinen, pelzigen Wesen an der Hand raus traten. Sie gingen auf mich zu. Von unserer Seite Aufschreie. Das kleine Wesen hatte ganz dunkle Augen; das traurigste, das ich jemals gesehen hatte. Aber wie konnte ich diese Augen erkennen, waren der Bischof und das Wesen doch mehr als dreißig Meter entfernt und sie kamen scheinbar auch nicht näher? „Müssen wir weg?“, fragte ich wie geistesabwesend, so als ob eine andere Instanz von mir dies gefragt hätte. „Haha, wir haben alles unter Kontrolle, haha.“ Ich versuchte die Visionen in meinem Tagebuch zu beschreiben, ohne mich ins schlechte Licht zu rücken, erwähnte aber, dass ich traurig war. Ich hatte zwar keine Angst, war aber traurig. Der „Seegang“ des Bodens hatte sich etwas beruhigt; ich hielt in meinem Tagebuch fest, dass die Stimmung ausgelassen ist, nur ich sei unergründlich traurig. Ich könne mir nicht erklären, wie ein Bischof hier an diesem Ort sein könne. „Vielleicht ist es ein Trugbild“, schloss ich. Es musste so sein, denn daraufhin sah ich meine Göttinnen in Weiß. Jedes Kleid tief ausgeschnitten hatten die Dienerinnen ebenfalls pelzige Wesen an der Hand. Wollten sie mir den Weg zum Paradies, den Weg zu Gott zeigen? Meine Trauer war völlig verschwunden, eine beglückende Wärme durchströmte meinen Körper, an bestimmten Körperstellen verdichteten sich Gefühle. „Mir geht es besser“, schrieb ich – lakonisch - ins Tagebuch, ohne auf die Art der Gefühle einzugehen. Die Dienerinnen tanzten einen harmlosen Reigen, während der Bischof mich freundlich anlächelte. Hier konnte man es aushalten. „Ha, ha, alles unter Kontrolle!“, kommentierte Paul, der sich anscheinend in einer wesentlich stabileren Gemütsverfassung befand. Irgendwo tief in mir hatte ic h die Gewissheit, dass wir hier gar nichts unter Kontrolle hatten. War das Experiment nicht schon gescheitert, da Halluzinationen und krankhafte Gemütsstimmungen auftraten? Womöglich stellte sich nach einer gewissen Zeit eine Art Toleranz ein, die den Wahn und die Stimmungen dämpfte. Ich wollte auf eine der Dienerinnen zugehen, während der Boden wieder begann, bedrohlich zu schwanken. Der Druck auf meinen Schädel verstärkte sich wieder. Ich wollte in der Nähe meiner Liebsten sein. Sie würde mit mir gehen. Die Zeit schien sich zu dehnen und ich war in meiner Bewegung erstarrt. Bilder verschwanden und tauchten wieder auf. Die Wesen und die Dienerinnen waren Bilder. Ich sah Bäume, die sich zu brennenden Kreuzen verwandelten, an denen noch lebende, leidende Verurteilte hingen. Einer davon musste ich sein. „Es ist eine Welt voller Halluzinationen, die wir nicht kontrollieren können“, schrieb ich ins Buch. Paul lachte mich immer noch aus.
Ich begann zu fragen, wer ich war und wo ich war, konnte aber nicht die passenden Antworten finden. Diese Fragen wurden mir von außen einsuggeriert. War es wirklich außen? Es war eine Stimme, die diese Frage stellte, deren Ursprung ich nicht lokalisieren konnte. „Wer bist du?“, fragte die angenehme Stimme, von der ich auch nicht sagen konnte, ob sie männlich oder weiblich war oder die eines Kindes. „Bist du?“, wurde ich gefragt. Ich bekam das Gefühl, das dieses irgendetwas möglicherweise an meiner Existenz zweifelte, aber diese Zweifel waren durchaus berechtigt, denn meine Persönlichkeit schien sich aufzulösen. „Oben oder unten?“ Diese Frage der Wesen schien mir keinen Sinn zu machen. Ich machte einen entsprechenden Vermerk in meinem Tagebuch, wobei ich weiterhin offen lies, ob ich in einer Art telepathischen Kontakt stand oder dies krankhafte Fantasien meiner selbst waren, akustische Halluzinationen, ausgelöst durch einen Kontakt mit Aborigines, die ich nicht fassen konnte. Ich versank in meiner eigenen Welt, die anderen, deren Aufschreie ich am Rande mitbekam,
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