Auf Inseln (German Edition)
unsere Freundschaft eine größere Bedeutung hatte. Wir überstürzten an diesem Abend nichts. Ein Küsschen hier, ein Küsschen dort. Paul zeigte sich überhaupt nicht schüchtern, legte oft den Arm um das Mädchen, das vielleicht zwanzig Jahre alt sein mochte und im Dienste der Gesellschaft seit vier Jahren ihrer Profession nachging. Die meisten der Huren hatten es immer schon gewusst, welchen Beruf sie ausüben würden. Es waren ausgesucht schöne Frauen, die diese Aufgabe zugewiesen bekamen. Mit vierzehn oder fünfzehn war meist klar, welchen Lebensweg die junge Frau eingehen würde. Im Prinzip hatten viele hübsche Mädchen kaum eine andere Möglichkeit als Prostituierte zu werden, es sei denn, sie waren so begabt, dass sie für anderweitige Aufgaben in der Gesellschaft gebraucht wurden. Pamela hatte uns erzählt, dass sie eine zweijährige Ausbildung erhalten hatte, um den Beruf der Begleiterin auszuüben. Sie sprach ein tadelloses Englisch, das sie in Intensivschulungen erlernen musste. Jeder, der irgendwo sichtbar ein T auf der Kleidung trug, sprach Englisch, eine starke Erleichterung für Touristen und Handelsreisende, die sich nicht mit der grauenhaften Sprache, die sich auf New Havanna entwickelt hatte, ursprünglich eine Mixtur aus Englisch und Spanisch, herum schlagen mussten. Im Gegensatz zu New Avignon, wo man immer darauf geachtet hatte, die Sprache der Bibel, die in einer Fassung aus dem Jahr 1970 vorlag, beizubehalten. In New Havanna hatte sich im Grunde eine eigene Sprache entwickelt, die zwar jede Menge Anglizismen und Hispanismen kannte, aber von keinem der Englisch sprach oder das klassische Spanisch beherrschte, verstanden werden konnte. Selbstverständlich sprach praktisch niemand auf unserer Welt ein klassisches Spanisch. Die allerwenigsten wussten, dass diese Sprache existiert hatte. Pamela war neugierig über New Avignon zu erfahren und tat ein bisschen so, als wären wir die Ersten, die ihr Geschichten von der nördlichen Insel erzählten. Das gehörte zum Programm, eine Methode mit dem Gast ins Gespräch zu kommen, aber vermutlich waren die meisten Begleiterinnen zusätzlich Informantinnen des Geheimdienstes. Sie wollte von uns wissen, was wir in New Avignon machten und wir hatten keine Angst, irgendwelche Staatsgeheimnisse zu verraten. Als ich von meinem Beruf erzählte, Kenntnisse von der alten Erde verbreitete, für die sie eigentlich nur einen sehr mythologisch geprägten Begriff kannte, war sie erstaunt und hörte gebannt zu. Die Kultur von New Havanna pflegte kaum Geschichte, was mir diese Gesellschaft sehr suspekt machte. Irgendwie spielte hier die Vergangenheit keine Rolle, eine ominöse, für mich völlig unbestimmte Zukunft schon. Die Zukunft würde den Sieg New Havannas über New Avignon bringen, was das auch immer heißen mochte. Vielleicht würden Touristen aus New Havanna die Gesellschaft unserer Dienerinnen suchen und bezahlen. Meines Wissens gab es natürlich einige Historiker in New Havanna, aber niemand, der sich professionell mit der Geschichte der Erde auseinandersetzte und über diese dozierte. Pamela war erstaunt, als ich ihr von meinem Berufsverbot erzählte. Sie wollte Näheres wissen. Ich versuchte ihr klar zu machen, dass ich die genauen Hintergründe auch nicht kannte. Ich hatte eine unglaubliche Lust, dem Geheimdienst von New Havanna die Geschichte um Projekt Epsilon zu stecken. Paul schaute mich bei meinen offenen Ausbreitungen nervös an, hatte aber dann wohl ein Einsehen und beteiligte sich sogar daran, über unsere Abenteuer mit den Aborigines zu erzählen. Die dunkelhäutige Frau hörte sehr aufmerksam zu. Ich machte mir einen Spaß daraus, darüber zu schwadronieren, dass die Menschen nie eine Chance hätten, diesen Planeten zu beherrschen. Ich flüsterte ihr ins Ohr, dass mächtige Wesen bei Helena, ich zeigte auf den gleißenden Stern, mit den Aborigines in Verbindung ständen und Wahnsinn und Vernichtung über die Menschen bringen würden, würden diese es wagen zu versuchen sich diese Welt Untertan zu machen. Pamela war nicht bekannt, dass es vonseiten New Avignons eine Mission nach Aurelia, Helenas Planet, gegeben hatte. „Warst du dabei?“, fragte sie mich. „Nein“, gab ich zur Antwort. „Ich wäre aber gerne dabei gewesen“ Das war nicht gelogen. Vermutlich konnte Pamela in ihrer Funktion als Geheimdienstmitarbeiterin sich keinen Reim auf meine Person machen. Die Biographie von Paul war klarer. War ich nun ein Dissident oder einer, dem man
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