Auf nassen Straßen
uns wieder Brüder sein – Mutter wäre überglücklich darüber, und Vater … Nun, Du kennst ihn ja … Er macht keine Worte, er zeigt keine Gefühle, er ist wie ein Bär. Aber kannst Du Dir einen Vater denken, der nicht glücklich ist, wenn sein Sohn zurückkommt? Darum werden wir in drei Tagen, genau am Donnerstag, zu Dir nach Hamburg kommen. Irene und ich. Es grüßt Dich, mein Bruder, Dein Bruder Hannes.«
Jochen Baumgart ließ den Brief sinken. Er starrte vor sich hin. Sie waren in Hamburg – und ich habe den Brief nicht gelesen und bin abgefahren. Sie müssen denken, daß ich sie wegstoße. Sie müssen denken, daß es jetzt kein Zurück mehr gibt! Jetzt, wo ich am Ziel bin – mit einem Schiff, mit einer Frau, die ich heiraten werde, ganz gleich, woher sie kommt, weil ich sie liebe – jetzt ist doch alles so leicht geworden. Jetzt kann man die Hand reichen, als Sieger!
»Bunzel!« schrie er durch die kalte Luft hinauf zur Brücke. »Bunzel, halten Sie sofort an!«
»Jetzt dreht der Alte durch«, dachte Bunzel und fuhr weiter.
Jochen Baumgart kletterte die Stufen zur Brücke hinauf und riß die Tür zum Kommandoraum fast aus den Angeln.
»Halten Sie sofort, Bunzel! Oder noch besser: Drehen Sie zurück nach Hamburg!«
»Wir haben Fracht, Mister!«
»Zum Teufel mit der Fracht! Wir müssen zurück.«
»Wegen des Briefes?«
»Das geht Sie einen Schmarren an! Ich befehle hier das Schiff!«
»Das haben Sie schon einmal gesagt, damals, als Sie Ihrem verletzten Bruder nicht helfen wollten! Und ich habe damals auch getan, was ich wollte und habe Ihren Bruder gerettet. Nicht Sie! Von Ihnen aus hätte der Junge krepieren können! Wir fahren weiter.«
Jochen Baumgart preßte die Lippen zusammen. »Wir reden noch darüber«, zischte er Bunzel zu.
Und die ›Fidelitas‹ fuhr den alten Kurs weiter.
Für Hannes und Irene begann mit der Rückkehr zur ›Guter Weg‹ der harte und erbarmungslose Alltag. Er erschöpfte sich nicht so sehr in der körperlichen Arbeit, die auch ein stilliegendes Schiff mit sich bringt, als vielmehr in der nervenzermürbenden Jagd nach Aufträgen und Ladungen.
Der alte Baumgart hatte es aufgegeben, weiterhin bei den alten Kunden nachzufragen. Überall, wo er hingekommen war, hatte er Verträge vorgezeigt bekommen, die mit Jochens Unterschrift versehen waren und ihm die alten Kunden für zwei oder gar drei Jahre wegnahmen.
Nach sieben Tagen endlich bekam Hannes eine Fracht.
Fischmehl nach Ludwigshafen.
Nicht viel – die Fracht füllte gerade den kleinsten, vorderen Bunker. Aber der Frachtgewinn reichte aus, um in Ludwigshafen vielleicht wieder sechs Wochen zu warten, ohne zu verhungern.
Der alte Baumgart saß am Vorschiff und teerte den Prellblanken, den man auswarf, wenn man an einer Landungsbrücke hielt, um den Zusammenprall zwischen Eisen und Holz zu mindern, als Hannes glücklich aus der Stadt zurückkam.
»Vater! Ablegen zu Becken II! Wir fahren nach Ludwigshafen!«
Durch den alten Baumgart zuckte es wie bei einem elektrischen Schlag. Aber das war nur kurz. Er drehte sich daraufhin langsam um und nahm die Pfeife aus dem Mund.
»Ladung?«
»Fischmehl!«
»Soso, Fischmehl! Naja, besser als nichts.«
Von den Wohnkajüten kam Irene gelaufen. Sie winkte Hannes zu, ihre blonden Haare flatterten beim Laufen.
»Du hast Fracht?« rief sie. Fast weinte sie vor Freude. »Du hast wirklich Fracht?« Sie wandte sich dem alten Baumgart zu. »Na, was sagst du zu deinem Sohn?«
Der Alte hob die Schultern. »Die Jugend scheut sich nicht vorm Betteln.«
»Es kommt darauf an, ob man etwas zu essen hat! Mit Stolz verhungern ist auch keine Lebensauffassung.«
Hannes wollte etwas sagen, aber der alte Baumgart enthob ihn der Worte. Er sah seine Schwiegertochter mit großen Augen an, legte dann den Eimer auf Deck und wandte sich ab.
»Dann bin ich wohl ganz überflüssig geworden …«
Mit langsamen, schweren Schritten ging er über das Deck und verschwand in den Wohnkajüten. Hannes trat an Irene heran und legte ihr den Arm um die Schulter. Sie schmiegte sich an ihn. In ihren blonden Locken riß der kalte Wind, der vom Rhein herüber in den Hafen wehte.
»Das hättest du nicht sagen dürfen«, sagte er. Aber es war kein Vorwurf in seiner Stimme.
In Köln bereiteten unterdessen Herbert Willke und Pierre Domaine das Geschäft ihres Lebens vor.
Sie kauften Langstämme.
Zweitausend Kubikmeter.
Auf riesigen Tieflastern wurden sie herangefahren und am Kölner Hafen gestapelt. Ein
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