Auf nassen Straßen
an Bord.
Sie kündigte ihre Stellung in der St.-Pauli-Bar und fuhr mit der ›Fidelitas‹ kurz vor Silvester aus Hamburg hinaus. Vorher aber hatte sie noch ein unfreiwilliges Zusammentreffen mit Herbert Willke und Pierre Domaine.
Als sie auf dem Jungfernstieg einkaufte, bremste plötzlich ein Wagen an ihrer Seite, und Domaine winkte ihr zu.
»Bonjour, ma fillette«, sagte er mit breitem Grinsen. »Kennst du uns alte Gauner nicht mehr?!«
Betty trat an den Wagen heran. Ihre Augen waren hart.
»Was wollt ihr?« fragte sie scharf.
»Dir ein Geschäft vorschlagen«, sagte Willke. Er öffnete die Wagentür und zerrte Betty auf den Sitz an seine Seite. »In Basel liegt eine Sendung Marihuana! Wir haben Pervitin im Koffer! Ein glattes Geschäft, wenn wir nur wissen, wie mit der Sore hinein und hinaus! Das alles ist nun kein Problem mehr, wenn wir uns auf dem Wasserwege fortbewegen …«
»Unmöglich!« Betty begriff sofort. Sie lehnte sich in den Polstern zurück und spreizte abwehrend die Hände. »Nie wird Jochen dies mitmachen!«
»Dein Jockeli wird davon gar nichts erfahren!« Willke rieb sich lächelnd die Hände. »Die neue Masche ist die, daß dein Süßer für uns Baumstämme hin und her fährt. Weiter nichts. Alles andere ist unsere Sache! Stämmchen von Amsterdam nach Basel – von Basel nach Amsterdam. Und dafür wird er fürstlich honoriert! Er wird eine Dauerstellung bei uns haben!«
Betty griff nach der Türklinke. »Ich mache da nicht mit!« rief sie laut. »Haltet an und laßt mich hinaus.«
Pierre Domaine nahm die Zigarette aus dem Mundwinkel und drückte sie in dem Aschenbecher am Armaturenbrett aus.
»Du lebst doch gern?!« fragte er hart.
Durch Bettys Körper rann ein Zittern.
»Was soll das, Pierre?«
»Überleg es dir. Du kennst uns. Es geht um ein Millionengeschäft. Es sind schon Menschen wegen kleinerer Beträge getötet worden.«
Pierre Domaine hielt den Wagen an der gleichen Stelle, an der sie Betty aufgenommen hatten.
»Wir treffen uns in Köln«, sagte er. Seine Stimme duldete keine Widerrede. »Sobald die ›Fidelitas‹ im Kölner Hafen liegt, rufst du uns an. Die Nummer kennst du. Alles andere geschieht von selbst. Und nun steig aus!«
Auf dem Schiff erwartete Jochen Baumgart sie mit einer Überraschung.
»Für die kalten Abende in der Kajüte«, sagte er, als er ihr die Stola um die Schulter legte.
»Warum tust du das?« Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust und dachte an Pierre Domaine und Herbert Willke. Wie gemein das alles ist, dachte sie. Wie widerlich.
»Laß mich nie mehr allein«, sagte sie mit fliegendem Atem. »Hörst du – halt mich ganz, fest, ganz, ganz fest. Ich habe solche Angst …«
»Wer sollte dir etwas tun?« Jochen Baumgart legte seine Arme um ihren zitternden Körper. »Für uns beide soll jetzt ein neues Leben beginnen.«
»Du lebst es schon. Du hattest nichts zu vergessen.«
»Weißt du das?« Er löste ihre Arme von seinen Schultern und sah ihr in die flackernden, angstweiten Augen. »Was wissen wir von uns? Nur, daß wir uns lieben …«
»Ist das nicht genug?« Die Angst vor Domaine und Willke verschloß Betty wieder den Mund. Sie wischte sich über die Augen, und als sie die Hand zurückzog, lächelte sie sogar wieder. Ein wenig verzerrt, gespielt, krampfhaft. Aber sie lächelte. »Welch einen Unsinn reden wir. Anstatt uns zu freuen, benehmen wir uns wie erschrockene Kinder!«
Jochen Baumgart zog die Stola fester um ihre Schulter.
»Hast du Angst, daß alles einmal aufhört – zwischen uns?«
»Vielleicht …«
»Und wenn ich dir sage, daß ich dich liebe …«
»Wie kannst du das? Du: ein Reeder! Ich: eine Bardame, ein Mädchen, das man sich kaufen konnte.« Betty schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht vor dem Abschied Angst, Jochen. Er wird einmal kommen, ich weiß es ja … Ich habe es oft genug erlebt. Einmal sind wir satt, Jochen, dann können wir uns nicht mehr sehen. Und dann sind wir froh, wenn wir schnell weggehen können, jeder wieder zu der Welt, aus der er kam. Wo wird dann die Liebe sein, von der du jetzt sprichst?«
»Du bist ein Pessimist. Warum glaubst du nicht daran, daß wir zusammenbleiben?«
»Weil ich das Leben kenne. Es gibt kein optimistisches Leben!«
»An meiner Seite wirst du lernen, anders zu denken.«
Um einen Tag zu spät trafen Hannes Baumgart und seine junge Frau Irene auf der Hochzeitsreise in Hamburg ein.
Als sie ankamen, war die ›Fidelitas‹ gerade sechzehn Stunden weiter im Binnenland;
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