Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
versuchen.
Was wissen wir also aus den
eben genannten Schriften aus dem fünften oder sechsten Jahrhundert?
Eine Arbeit aus jüngster Zeit
behandelt dieses Problem sehr gründlich. 8 Klaus Herbers ist kein trockener Gelehrter,
sondern auch ein Suchender. Er schreibt über den Jakobuskult und den „Liber
Sancti Jacobi“ und denkt über das „Verhältnis zwischen Religion und
Gesellschaft im Hohen Mittelalter“ nach. Das ist ein wichtiger Teil unseres
Themas. Was weiß Herbers über den Heiligen und über die Quellen?
Er weiß, daß man nicht genug
weiß. Das klingt fast nach Sokrates. Aber Herbers hofft, daß die Forschung mehr
und Neues bringt. — Folgen wir zunächst seiner viergeteilten Fragestellung:
Herbers fragt nach
- der Predigttätigkeit des hl.
Jakobus in Spanien,
- der Translation seines
Körpers,
- der Grabentdeckung im 9.
Jahrhundert,
- den Gründen zur Entstehung
des Jakobuskultes. 9
So fragen wir denn aufs neue:
Was wissen wir über die Predigttätigkeit des hl. Jakobus in Spanien?
Spanien kommt in der
Apostelgeschichte überhaupt nicht und bei Paulus nur einmal vor: in Röm 15,24
und 28. Hier spricht Paulus von seiner eigenen Absicht, nach Spanien zu reisen.
Daß aus dieser Reise je etwas geworden ist, ist ganz unwahrscheinlich. Für die
Frage nach Jakobus hilft uns der Römerbrief jedenfalls nicht weiter. Und so
kommt Herbers zu dem Schluß: „Für den Nachweis einer Missionstätigkeit des
Apostels Jakobus in Spanien reichen Bibelstellen oder Texte aus unmittelbar
nachchristlicher Zeit nicht aus.“ 10 Doch hilfreich fährt er fort: „Erste Hinweise
gibt das ,Breviarium Apostolorum’ (ca. Ende 6. Jahrhundert), das in zahlreichen
Manuskripten im lateinischen Westen, besonders Gallien, seit dem 8. Jahrhundert
anzutreffen ist, sicherlich dort jedoch bereits seit dem 7. Jahrhundert
verbreitet war. Die Quellen dieses ,Breviarium’ und der Bezug zu anderen
Schriften sind noch nicht endgültig geklärt; sicherlich bestehen jedoch
Verbindungen zu griechisch-byzantinischen Apostelkatalogen und zu den Schriften
des sogenannten Pseudo-Abdias (6. Jahrhundert).“ 11
Es folgt eine eindrucksvolle
Darstellung der weiteren Quellenentwicklung. Die Berichte über eine
Missionstätigkeit des Apostels Jakobus in Spanien werden zum Ende des ersten
Jahrhunderts hin immer dichter. Bei allen scheint aber eine Abhängigkeit vom
„Breviarium“ oder von einer gemeinsamen, unbekannten Vorlage zu bestehen. 12
Der Heilige: der Apostel
Jakobus hat existiert. Er war einer der engsten Vertrauten Jesu, mit Petrus und
Johannes. Im Jahre 44 starb er den Martyrertod. Dieses wissen wir, und
das ist schon viel. Ob er vor seinem Tod in Jerusalem in Spanien war, wissen
wir nicht. Spätere Quellen behaupten es. Hat bis zu ihnen — über fünf
Jahrhunderte hinweg — die so wichtige mündliche Tradition zuverlässig getragen?
Gibt oder gab es eine noch unbekannte oder verlorene, vernichtete schriftliche
Überlieferung, welche die Zeit zwischen Neuem Testament und „Breviarium“
überbrückt? Wir wissen es nicht. — Wir wissen nur, daß es seit dem 6.
Jahrhundert Berichte über eine Missionstätigkeit des Jakobus in Spanien gibt
und daß dort im 9. Jahrhundert die Jakobusverehrung mit ungeheurer Kraft auflodert
und sich durch ganz Europa zu einer der größten Wallfahrtsbewegungen der
abendländischen Geschichte ausbreitet.
Diese Verehrung, diese Bewegung
hat ihren Heiligen. Jeder, der etwas von Kult, Frömmigkeit, Mythos,
Transzendenz, ja, schlichtweg von Religiosität versteht oder tief innerlich
verspürt, wird einräumen, daß nicht alles beweisbar ist, daß vielleicht sogar
das Wesentliche außerhalb des historisch Belegten liegt. — So laßt uns denn den
heiligen Apostel Jakobus, den Santiago, annehmen und verehren, auch wenn wir
ihn nicht bis in die letzten „spanischen Zusammenhänge“ beweisen können.
Ob uns die Legende dabei helfen
kann? Befragen wir sie!
4. KAPITEL
Die Legende
Gemeint ist hier nicht die
Legende vom Wirken des Jakobus in Spanien zur Zeit seines Lebens, sondern die
Legende von der „Reise“ seines Leibes, seines Leichnams, seiner Reliquien nach
Spanien. Gemeint ist jene geheimnisvolle Überführung, die als „Translatio“
geschildert — und natürlich auch nachgefragt wird. Gemeint ist die fast unglaubliche
Ankunft des Apostels — vielmehr seiner sterblichen Reste — in Iria Flavia, dem
heutigen Padrón, und ihre Übertragung und Auffindung nach und in
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