Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
Spekulationen und geben uns der Legende hin, wie
sie der genannte Codex in einer (simulierten) Predigt des Papstes Calixtus II.
darstellt:
„Ein doppeltes Fest wird heute
von den Gläubigen gefeiert, nämlich das der Erwählung dieses hl. Jakobus, der
am Ufer des Meeres von Galiläa zusammen mit Johannes, Petrus und Andreas in die
Schar der Apostel erwählt wurde, sowie dasjenige seiner Translation, das heißt,
wie dessen kostbarer Leichnam in die Stadt Compostela überführt worden ist...
Wie vollzog sich die Translation
des Apostels? Durch den Mund von zahlreichen Gläubigen wird bezeugt, daß dessen
gesamter ehrwürdiger Leichnam nach der Ermordung durch Herodes in einem Boot,
das die Jünger des Jakobus steuerten, und mit Begleitung eines Engels des Herrn
von Jerusalem nach Galicien über das Meer unter Hilfe verschiedener Wunder
gebracht worden sei.“ 2
In diesem Text stehen herrliche
Formulierungen: „...mit Begleitung eines Engels...“, oder noch schöner:
„...unter Hilfe verschiedener Wunder...“ Also war unserem legendären Prediger
schon klar, daß er überirdische Eingriffe brauchte, um seine Plausibilität zu
behalten! Warum auch nicht? Wir reden ja über Heiliges, und Heiliges vollzieht
sich nicht ohne Wunder. — Diese Wunder sind nicht klein: das Boot mit dem
„gesamten ehrwürdigen Leichnam“ des — enthaupteten! — Jakobus sei durch das
ganze Mittelmeer gesteuert worden, müsse dann die schmale Straße von Gibraltar
gefunden haben und an der sturm- und klippenreichen spanischen Westküste nach
Norden getrieben sein, bis es in Iria Flavia landete.
Nachdem der Prediger seinen
Bericht mit Hilfe von Engel und Wundern sozusagen „unter Dach und Fach“ hat,
geht er streng mit denen ins Gericht, die noch mehr Wunder in ihre Darstellung
fassen. Er ist jetzt plötzlich der Tatsachenberichterstatter, der alles
angreift und ausräumt, was seinen „Tatsachen“ nicht entspricht.
„Man muß erzählen und
verbessern, was viele Hohlköpfe, die schändlich der Häresie verfallen sind, von
diesem Jakobus und dessen Translation zu sagen pflegten... Einige... sagen, er
sei sitzend auf einem Fels von Jerusalem durch die Wellen des Meeres ohne Floß,
dem Auftrag des Herrn gemäß, gekommen und ein bestimmter Teil dieses Felsens
sei bei Jaffa zurückgeblieben. Andere sagen, dieser Fels sei im Schiff selbst
zusammen mit dem toten Körper angekommen. Aber ich selbst habe überprüft (!),
daß jede der beiden Fabeln erlogen ist... Andere wiederum sagen, der Apostel
habe das Land Galicien verwunschen, daß es keinen Wein mehr hervorbringen
solle... Wiederum andere sagen, der Herr sei ihm erschienen, habe von einer
Rute in seinen Händen die Rinde entfernt und habe ihm versprochen: so wie jene
Rute von der Rinde befreit worden ist, so würden die Gläubigen, die zum
Apostelgrab gingen, ihrer Sünden ledig... andere stellen sich vor, daß die
Engel den Leichnam des Jakobus durch die Lüfte von Jerusalem nach Galicien ohne
menschliche Hilfe gebracht hätten. Andere reden daher, dieser Leichnam sei in
einem gläsernen Schiff von Schiffsleuten über die Meereswogen von Jerusalem
nach Galicien überführt worden.“ 3
Ist das amüsant? Ist das
schockierend? Ist das sogar sehr tiefsinnig? Ich weiß es nicht. — Ich weiß
nicht, wo Wunder anfangen und wo sie aufhören. Ich meine nur: ohne Wunder geht
es nicht. Und weiter: Wunder sind nicht logisch. Ich kann daher unserem
Prediger nicht folgen, wenn er wettert: „Alle diese und ähnliche Träumereien
oder Fabeln verweisen wir unter die Apokryphen, wir verwerfen sie von Grund auf
und verbieten in unserem Zorn sogar mit Androhung des Anathema, daß niemand
noch etwas darüber zu schreiben wage, wenn es nicht zu den wahren (!)
Geschichten gehört, die das Jacobus genannte Buch enthält.“ 17
Über zwei Dinge haben wir noch
zu sprechen. — Ich erwähnte gleich nach dem Beginn dieses Kapitels eine „Acha
marmarica“. Bei Herbers 18 wird hierüber einiges gesagt: eine Stadt in Nordafrika habe man hierunter
vermutet. Aber es sei wohl mehr „schlichtweg ein Marmorgrab gemeint, das
entsprechend archäologischen Funden in der Nähe von Compostela lokalisiert
werden könne“. Weit mutiger in seinen Spekulationen ist Helmut Domke: „Der
ursprüngliche Name des Auffindungsortes lautete galicisch ,Mámoa’, was
gleichbedeutend ist mit Area marmorica, also Marmorbogen.“ 19 Hier haben wir also sogar eine Lokalisierung in
Galicien. Französische und spanische
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