Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
Compostela.
Wir sprachen über die
Enthauptung des Apostels Jakobus im Jahr 44, die in der Apostelgeschichte
erwähnt wird. Von einem Begräbnis lesen wir dort nichts. Auch konnte „bisher
kein Grabeskult in Jerusalem nachgewiesen werden“ 13 .
Dann verwirren sich die Linien
der Überlieferung. Es gibt eine „Passio Jacobi“ des Eusebius von Caesarea (260-340),
bekannt auch als „Passio modica“. Sie sagt nichts über eine Grablegung. Es gibt
zudem — so Herbers 14 — eine „Passio magna“, die in der Übernahme durch den schon erwähnten
Pseudo-Abdias verbreitet wurde. Hier finden wir Fassungen, die einen Hinweis
auf die „Translatio“ des Apostels nach Spanien enthalten, aber auch solche, die
eine Grablegung in Jerusalem behaupten, andere, die von einer geheimnisvollen
„Acha marmarica“ sprechen. Was nun?
Endgültiges können wir auch
hier nicht sagen. Es gibt aber sehr ernsthafte Gründe, die „Translatio“, die
Überführung der Gebeine des Apostels Jakobus nach Spanien, nicht nur in das
Reich der frommen Fabel oder auch des politischen Kalküls zu verbannen.
Es ist sehr gut denkbar, daß
die Gebeine des ersten apostolischen Märtyrers für die Christen der Urgemeinde
und der nachfolgenden Generationen von sehr großem Wert waren. Daher ist es
nicht vorstellbar, daß diese Gebeine außerhalb großer Sorgfalt gestanden
hätten. So dürfen wir denn mit hoher Gewißheit mutmaßen, daß die
frühchristlichen Jahrhunderte den Leichnam des Jakobus nicht „aus dem Auge“
ließen, auch wenn wir darüber nichts lesen. Vielleicht hat gerade das Vermeiden
von „publicity“ mit zur Sorgfalt gehört! Es gibt dann ein entscheidendes Datum:
die Niederschlagung des jüdischen Aufstandes 66-70 n. Chr. durch Vespasian und
Titus und die fast völlige Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 (im Jahre 73 fiel
dann die letzte jüdische Bastion: die Festung Massada). Hat der Leichnam des
Jakobus dieses Inferno überstanden?
Diese Frage verweist uns auf
das Schicksal der frühen Christen nach der brutalen römischen Niederschlagung
des jüdischen Aufstandes unter den Zeloten, geführt von Eleasar, dem Sohn des
Hohenpriesters. — Wohin sind sie gegangen, die Judenchristen? Wohin haben sie
ihre Schätze — so die Reliquien des Jakobus — mitnehmen können?
Nach Jedin „fand die
Selbständigkeit der Jerusalemer Gemeinde ihr Ende, als der Aufstand der Juden
gegen die Römer zur Katastrophe für das ganze Volk wurde. Die Judenchristen
mochten sich offensichtlich an diesem Kampf nicht beteiligen und wanderten in
den Jahren 66-67 nach dem Ostjordanland aus, wo sich ein Teil in der Stadt
Pella niederließ... Die Zukunft der jungen Kirche lag nach der Zerstörung
Jerusalems bei den Heidenvölkern um das östliche Mittelmeerbecken…“ 15
Östliches Mittelmeerbecken?
Schauen wir uns das geographisch etwas näher an. Und fragen wir uns dabei, wo
„christliche Chancen“ lagen, wo wir von Situationen und Verhältnissen wissen,
in denen der Leichnam des ersten getöteten Apostels hätte bewahrt werden
können. — Derartige „christliche Chancen“, die ich im Zusammenhang unseres
Kapitels lieber „Möglichkeiten der Legende“ nennen möchte, gibt es in großer
Zahl.
Da ist das schon erwähnte
Pella. Es lag östlich des Jordan, etwa zwölf Kilometer süd-östlich der
jüdischen Nekropole Bet-Shean, fast auf gleichem Breitengrad wie Caesarea
Maritima, der „Paulus-Hafen“ 16 ,
von diesem weniger als 100 Kilometer entfernt. — Das wäre die „Ost-Westroute“:
Caesarea als Station zwischen Pella und der weiten Fahrt über das Mittelmeer.
Dann gäbe es auch die
„Nordroute“. Paulus ging nach seiner Bekehrung vor Damaskus nach Antiochia.
Beide Städte liegen nördlich vom Zufluchtsort Pella. Sie waren in der „Alten
Welt“ gut erreichbar. Dürfen wir hier die Grundlinien für eine Rettung der
Jakobusreliquien sehen?
Mir persönlich ist die
„Südroute“ sympathischer. Für diese Sympathie gibt es kaum einen historischen
Beleg. Es gefällt mir einfach zu glauben, die Reliquien des Jakobus seien in
den Sinai gebracht worden, dort im legendären, von Justinian im 6. Jahrhundert
erbauten Katharinenkloster aufbewahrt, dann im 7. Jahrhundert vor den
eindringenden Persern gerettet worden und nach Spanien, zum „Ende der Welt“,
zum „finis terrae“ geschwommen.
Geschwommen? Ja. Da sind wir
direkt bei der Legende, die uns der „Codex Calixtinus“ erzählt. Verlassen wir
nun alle historisch verbrämten
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