Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
Die
spanische Kultur, vor allem die Baukunst, ist erfüllt von der Begegnung
zwischen Christentum und Islam. Selbst im hohen Norden Spaniens, wo der Islam
sich nicht vollständig durchsetzen konnte, begegnet uns auf Schritt und Tritt
der mozarabische Stil. Die romanische Anleihe der Araber bei den Christen, die
sie sich dann — viel reicher — hinunterholten in den jahrhundertelang maurisch
beherrschten Süden Spaniens. Und umgekehrt später: im Mudéjar-Stil die
Hereinnahme maurischer Formen in gotische Gestaltungen! Wir haben das ja schon
in Santo Domingo de Silos gesehen.
Wir reden über Geschichte und
merken plötzlich, was „Kunst“ über „Geschichte“ verrät. Sie zeigt, daß
Geschichte nicht nur der Ablauf kriegerischer Unversöhnlichkeit ist, sondern
daß ihr dialektischer „Grundtakt“ ein Austausch, ein oft schmerzlicher,
individuell vielfach tödlicher, kommun jedoch manchmal sehr evolutiver,
weiterführender Prozeß sein kann. Hat Heraklit recht: Ist „der Krieg der Vater
aller Dinge“?
Wir waren vor der Aula Regia,
der „Königshalle“ Ramiros I. stehengeblieben und ins historische Schwärmen
geraten. Kehren wir zurück zu historischen Tatsachen.
Ramiro I. ist nicht nur der
Bauherr der wunderschönen Halle bei Oviedo, er wird auch als der Sieger der
legendären Schlacht bei Clavijo im Jahre 844 genannt. Wir haben viele Bilder
von dieser Schlacht, bis hin zur berühmten Radierung Martin Schongauers. Nur:
stattgefunden hat diese Schlacht wohl nicht. Ist es da schon wieder aus mit
unseren Tatsachen? — Nein, nicht ganz. Zu den ganz wichtigen Tatsachen gehört
nämlich, daß spätestens auf die Schlacht von Clavijo — ob historisch belegt
oder nicht — die politische Dimension des Jakobuskultes zurückgeführt wird:
Jakobus sei auf einem Streitroß mit gezogenem Schwert vom Himmel her den
Soldaten Ramiros beim Kampf gegen die Mauren zu Hilfe gekommen und habe die
Schlacht für die christlichen Spanier entschieden. Da haben wir ihn, den
„matamoros“, den Maurentöter!
In der Geschichte Spaniens sind
zwei Linien unverkennbar: die bis zum elften Jahrhundert vordringende maurische
Eroberung, seit 711 Spanien beherrschend; und seit 718 — Covadonga — oder seit
844 — Clavijo, historisch oder auch nicht — der Gegenstoß, die Reconquista.
Beide verlaufen fast gleichzeitig; erst allmählich verschieben sich die
Gewichte zugunsten der Spanier. Jakobus ist dabei. Er ist der Patron der
Reconquista.
Wir wollen das ganze Hin und
Her der spanisch-maurischen Kriege nicht beschreiben. Die bedeutendsten
Stationen sollen jedoch genannt sein ; denn sie sind Marksteine, an
denen auch geistig etwas geschieht.
Über die Eroberung Santiago de
Compostelas im Jahre 997 durch Almansur, den späteren Kalif Mohammed II., haben
wir schon einiges gesagt. Wenig später, nämlich 1031, passiert etwas, das für
die Stärke der maurischen Herrschaft über fast ganz Spanien von entscheidender
Bedeutung ist: das Kalifat von Córdoba zerfällt aus inneren Gründen in zwanzig
Teilstaaten, sogenannte Taifas. Wissen müssen wir dabei: „Córdoba wurde eine
der reichsten Städte der damaligen Zeit, sie besaß 3000 Moscheen, 800
öffentliche Schulen, 50 Krankenhäuser. An der berühmten Universität studierte
der spätere Papst Sylvester II., und Roswitha von Gandersheim sagte um 960 von
ihr: ,Hell erglänzt sie im Westen als leuchtende Zierde der Erde.’“ 5 Kultureller Reichtum fast
ohnegleichen!
„Die Omaijaden“ — so die Hells 1 — „waren baufreudig, nicht bildfeindlich, freigeistig. Juden und Christen
lebten in Frieden in ihrem Staat.“ 1 Warum gab es einen christlichen
Krieg gegen diese friedliche Symbiose? Gegen einen islamischen Partner, der
doch gerade seine politische Schwäche nicht als Kündigungsgrund für die
kulturelle Partnerschaft ausnutzte? Warum christlicher Krieg gegen einen
tolerant-tolerablen Mitbewohner des Landes, einen Hausgenossen seit
Jahrhunderten?
Man kann das wohl nur aus den
missionarischen Grundtendenzen beider Religionen verstehen. Diese
missionarischen Grundtendenzen finden ihre politischen Formeln: im „bellum
justum“, dem „gerechten Krieg“ bei Augustinus im 5. Jahrhundert, im „Heiligen
Krieg“ bei Mohammed im Koran des 7. Jahrhunderts. Der Koran ist reich an
Kampfparolen. Es heißt zum Beispiel in der 9. Sure: „Kämpfet wider jene von
denen, welchen die Schrift gegeben ward, die nicht glauben an Allah und an den
Jüngsten Tag und nicht verwehren, was Allah
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