Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
„französischen“ Teil werden wir
beginnen.
Erinnern wir uns an die „vier
Wege“, die ich im Eingangskapitel genannt habe, und lesen wir jetzt im 5. Buch
des „Codex Calixtinus“ den genauen Text des Anfangs des „Pilgerführers“ aus dem
12. Jahrhundert in der Übersetzung von Klaus Herbers:
„Vier Wege führen nach
Santiago, die sich zu einem einzigen in Puente la Reina in Spanien vereinen;
einer geht über St-Gilles, Montpellier und Somport-Paß, ein anderer über
Notre-Dame in Le Puy, Ste-Foy in Conques und St-Pierre in Moissac, ein weiterer
über Ste-Marie-Madeleine in Vézelay, St-Leonard im Limousin und die Stadt
Perigueux, ein letzter über St-Martin in Tours, St-Hilaire in Poitiers, St-Jean
in Angely, St-Eutrope in Saintes und die Stadt Bordeaux. Diejenigen Wege, die
über Ste-Foy, St-Leonard und St-Martin führen, vereinigen sich in Ostabat, und
nach dem Überschreiten des Cisapasses (dieser führt nach Roncesvalles; Anm. d.
Verf.) treffen sie in Puente la Reina auf den Weg, der den Somport-Paß
überquert; von dort gibt es nur einen Weg bis Santiago.“ 6
Es fällt auf, daß in diesem
Bericht die Namen der Kirchenpatrone wichtiger sind als die Namen der Orte und
von „Landschaft“ gar nicht die Rede ist. — Wir respektieren diese zeitbedingte
Rangordnung und schauen uns dennoch in den Landschaften um, die der
„Pilgerführer“ markiert.
Wir sind zwischen den „Wegen“
rochiert, haben keinen ganz durchfahren, haben alle vier berührt. Ich habe den
ganz großen Wunsch, die französischen Pilgerstraßen bei einer neuen Reise sehr
viel gründlicher kennenzulernen und meine bruchstückhaften Erinnerungen zu
überprüfen, zu vertiefen.
Ich sehe Burgund vor mir — ein
herrliches, schwingendes Hügelland mit sehr vielen Grüntönen, weichen Fernen,
Bächen und Kanälen um die Saône-Senke, beruhigend und doch nicht einschläfernd.
Vom großen Garten der Kathedrale von Vézelay mit seinen Ausblicken auf weites
Land staunt man in die Wellen der Landschaft hinein, man ahnt Wein und
Freundlichkeit. Beides erfüllt sich! Verweilen können wir nicht; wir sind ja
unterwegs zu anderem Ziele. Wir nehmen mit, daß auf dem Terrassenpark bei der
Basilika der Ste-Madeleine die wichtige Kreuzzugspredigt des Jahres 1146
stattfand: Bernhard von Clairvaux spricht am 31. März vor einer gewaltigen
Zuhörerschaft, welche die Basilika nicht fassen kann, über die Notwendigkeit
eines zweiten Kreuzzuges. Seine Predigt ist der entscheidende Auslöser für die
zweite Kreuzfahrt ins Heilige Land. Es ist für uns ein seltsam bedrückender
Gedanke, daß gerade der Platz unserer Begegnung mit der Schönheit burgundischer
Weite auch der Platz erregter Kampfbereitschaft des Christentums gegen eine
andere Religion, den Islam, gewesen ist. — Ich wollte nicht über geschichtliche
Probleme reden! Darf ich das mit dem Vortrag einer fröhlichen Litanei
burgundischer Gerichte wiedergutmachen?
- „Potage du Morvan“, Kohlsuppe
mit Kartoffeln und Speck
- „Tourte de canard Henri
Colin“, Pastete mit Enten- und Schweinefleisch mit Geflügelleber
- „Escargots à la
Bourgnignonne“, mit Butter, Knoblauch und Gewürzen überbackene
Weinbergschnecken
- „Daube Avallonaise“,
Avalloner Rindfleischtopf
- „Escalopes à la mode“,
Schnitzel in Senfsauce
- „Potée bourgnignonne“,
Fleisch- und Gemüseeintopf
- „Jambon persillé“, Terrine
aus Schinken und Petersilie. 7
Vieles ließe sich hinzufügen.
Über die Weine wollen wir erst gar nicht reden! Die typische Burgunderflasche
hat eine weiche, schöne Form. Sie ist weiblich und paßt in dieses Land.
Doch Speiseplan hin, Speiseplan
her: Als wir in die Auvergne fahren und Clermont-Ferrand erleben, sind wir
schon wieder beim Kreuzzug. Papst Urban II. hielt hier 1095 eine große Synode
mit innerkirchlicher Reformbedeutung ab — Cluny! —, auch der erste
Kreuzzug wurde in diesem Jahr proklamiert. Ahnt man die große Bedeutung von
Clermont-Ferrand für die Auseinandersetzung der Ideen? Ahnt man sie bis hin zu
Teilhard de Chardin, der 1881 in dieser Stadt geboren wurde?
Zurück zur Landschaft: Das
Zentralmassiv unterscheidet sich stark vom lieblichen Burgund. Schon die
geographischen Daten divergieren: Die Auvergne, das Land in der Mitte des
„massif-central’’, steigt bis zu einer Höhe von fast 2000 Metern an. Sie zeigt
sich uns als nur selten unterbrochene Hochebene aus kristallinem Gestein. Granit,
Glimmerschiefer und
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