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Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Titel: Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Malangré
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Gneise bilden die mineralische Substanz. Vulkanische
Ursprünge haben das Land geformt. — Hier saß im 2. Weltkrieg die
„Vichy-Regierung“ des Marschalls Pétain, Versuch einer Auffangstation gegen das
zunächst siegreiche Nazi-Deutschland, nicht ohne kollaborierende Schuld. Das
ist vorbei. Die Stadt Vichy bleibt bekannt durch ihr vorzügliches
Mineralwasser.
     
    Darf uns das als Pilger
interessieren? Ich meine, ja. Pilgerschaft ist eine immer neue Begegnung
zwischen Natur und Übernatur, zwischen Geist und Welt. Da sollte man nichts
auslassen, was am Wege liegt. Man kann aus allem lernen.
     
    Die Auvergne, das Zentralmassiv
durchfahren wir am zweiten Tag unserer Reise. „Berge und kahle Hochebenen,
Wälder wie im Böhmerwald, Krater und Kraterseen, klare Flüsse in tiefen
Schluchten, erfrischend kalte und ganz heiße Quellen“ 8 — das sind die Prädikate, die Hansjörg Sing der
Auvergne erteilt. So haben auch wir dieses Land erlebt. Eines kommt hinzu: das
Staunen, welchen Raum es in Frankreich gibt! Wir beengt lebende Westdeutsche
können uns kaum vorstellen, daß man noch so frei atmen kann! Der große Atem,
der die Landschaft des Zentralmassivs beherrscht, die Weite, die Offenheit —
hat all das nicht auch geistige Dimensionen? Ich stelle mir den Pilger vor, der
diese Räume einsam und zu Fuß durchwandert hat. Vieles ist in ihm bestimmt
allein durch das Erlebnis dieser Landschaft geschehen. — Versuchen wir nur, den
Wanderweg durch das liebliche Burgund und dann über das harte Zentralmassiv in
unserer Phantasie nachzugehen... Ich ahne die Größe der Anstrengung, der
Anfechtung, der Verzweiflung — wohl auch der Lebenslust und der Erleichterung,
wenn man nach der Hochebene in der gastfreundlichen Gascogne wieder eine „leichtere
Gangart“ anschlagen konnte.
    Hierüber haben wir „frühe
Kunde“ im 5. Buch des „Liber Jacobus“, dem Schlußkapitel des schon so oft
genannten „Codex Calixtinus“ aus dem 12. Jahrhundert:
    „Auf dem Jakobsweg von Toulouse
trifft man nach Überqueren der Garonne auf die Gascogne, ... wo es viel
Weißbrot, besten Rotwein, Wälder, Wiesen, reine Flüsse und Quellen gibt. Die
Gascogner haben ein loses Maulwerk, sie sind schwatzhaft, spöttisch, Wein und
Essen zugeneigt, schlecht mit Geld ausgestattet, aber an den Krieg gewöhnt und
in der Gastlichkeit gegenüber Armen zuvorkommend.“ 33
    Es wundert uns nicht, daß es
dem mittelalterlichen Autor hier gefallen hat! Dieser Autor wird schwerlich der
Papst Calixtus II. persönlich gewesen sein...
    Wir kommen dann an den Fuß der
Pyrenäen. Der Chronist des 12. Jahrhunderts beschreibt diese Landschaft: „In
der Nähe des Cisa-Passes ist das Baskenland mit der Stadt Bayonne, die am Meer
gegen Norden gelegen ist. In diesem Land wird eine fremdartige Sprache gesprochen,
es ist waldreich, bergig, arm an Brot, Wein und jeglichen Lebensmitteln, man
wird jedoch durch Äpfel, Apfelwein und Milch entschädigt.“ 9
    Eine Landschaft des Übergangs,
der Gegensätze, der Leidenschaften umfängt uns. Franzosen, Basken, Spanier —
welches Spannungsfeld! Der Aufstieg auf die Pyrenäen kennt zwei Sammelstellen
der Pilger: Ostabat ist der Treffpunkt der Straßen von Paris über Tours, von
Vézelay und von Le Puy. Nur die Straße von Arles führt über Toulouse und Pau
zum „summus portus“, dem 1632 m hohen Somport-Paß. Schade, daß wir nichts
sehen; der Nebel ist zu dicht.
    Wäre kein Nebel gewesen, was
hätten wir gesehen? Helmut Domke beschreibt den Aufstieg auf den Somport. Bei
trübem Wetter steigt er höher und höher hinauf, „bis auf einmal die Bäume
zurückblieben und alle Beschwer vergessen war. Ein unsäglicher Anblick bot sich
dar, ganz auf große Farben gestellt: zartblau die Ferne, die roten Berge mit
den beglänzten Schneehauben um ihren mächtigen Kessel auf brennend in der Glut
des beginnenden Abends. Aus violettem Grund stieg eine fast weiße Kalkklippe
neben dem zögernden Oliv einer grasigen Kuppe... Aragon, von tausend Gedanken
umworbenes Ziel, öffnete sich, wie es vor den Jacquaires gelegen hatte... Ob
den Jacquaires bewußt war, was die Ersteigung der großen Barriere des
ungeheuren Weges bedeutete?“ 34
    Was uns betrifft: wir sind ganz
prosaisch froh, als wir auf der Paßhöhe ankommen und dann nach Spanien
hinabfahren dürfen.
    Wenige Tage später fahren wir
von Pamplona nach Roncesvalles hinauf.
    Nur 981 m hoch liegt
Roncesvalles, 1057 m die eigentliche Paßhöhe von Ibañeta. Wir müssen nicht

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