Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
des Großen. Sein künstlerischer Wert macht ihn zu einem der
hervorragendsten Zeugnisse der rheinischen Goldschmiedekunst des hohen Mittelalters.
Auf den Dachschrägen des
Karlsschreins — er entstand nach der Heiligsprechung Karls des Großen im Jahre
1165 und war wohl 1215 vollendet — finden wir mehrere Bilderfelder, in
vergoldetem Kupfer getrieben.
Da ist die erste Szene: Karl
liegt auf seinem Lager. Er richtet sich überrascht auf. Vor ihm steht der
Apostel Jakobus und spricht ihn an: „Karl, erhebe dich, komm! Ich will dir
Galicien schenken!“ Im selben Dachfeld des Schreins eine zweite Szene: Karl
steht in einem Turmfenster seines Palastes und sieht über sich eine
Sternenstraße. Seine Hand streckt sich dieser Sternenstraße sehnsüchtig
entgegen. Unter den Sternen türmt sich ein Gebirge auf, steil, mit Bäumen
bewachsen, von Wellen unterspült. — Sternenstraße? Was ist da gemeint? Etwa ein
Weg, der zum „Campus stellae“, zum „Sternenfeld“ von Compostela führt? Der
bildliche Zusammenhang ist wohl zwingend.
In einem zweiten Bilderfeld in
der Dachschräge des Karlsschreins kniet Karl neben den Mauern Pamplonas. Er
erbittet die Hilfe des Jakobus für die Eroberung. Eine Hand langt vom Himmel,
und siehe: die Mauern fallen. — Wenn man die Darstellung auf dem Karlsschrein
ganz streng interpretiert, muß man allerdings sagen: die Mauern Pamplonas
bröckeln nur an. Vieles bleibt stehen. Widerstand sammelt sich. — Hat Karl
Pamplona wirklich erobert? Wie war das mit der „Spanischen Mark“?
So finden wir uns mitten in der
Problematik der fränkischen, karolingischen Spanienpolitik wieder. Was ist
Geschichte, was ist später aufgesetzte, zweckbestimmte Legende? Versuchen wir,
das ein wenig zu ordnen.
Eine sehr nüchterne Einführung
finden wir bei Einhard, dem ersten Biographen Karls des Großen, der an dessen
Hof lebte. Wir lesen in der „vita Caroli“, im Kapitel 9, folgendes:
„Während er unaufhörlich und
fast ohne Unterbrechung mit den Sachsen zu kämpfen hatte, griff er, nachdem die
Grenze an den geeigneten Stellen durch Besatzungen gedeckt war, mit möglichst
großer Heeresmacht Spanien an, wo sich ihm nach dem Übergang über die Pyrenäen
alle Städte und Burgen, die er angriff, unterwarfen, und kehrte dann ohne
Verlust mit seinem Heere wieder heim. Nur in den Pyrenäen selber mußte er auf
seinem Rückzug etwas von der Treulosigkeit der Waskonen verspüren. Als nämlich
das Heer in langem Zuge, wie es die Enge des Ortes zuließ, einher marschierte,
stießen die Waskonen, die sich auf den Gebirgskamm in Hinterhalt gelegt hatten,
— das Land ist dort nämlich wegen der dichten Wälder, deren es dort sehr viele
gibt, zu Hinterhalten geeignet — von oben auf das Ende des Trosses und der
Nachhut, drängten sie ins Tal hinab und machten in dem Kampf, der nun folgte,
alles bis auf den letzten Mann nieder, raubten das Gepäck und zerstreuten sich
dann unter dem Schutz der einbrechenden Nacht in höchster Eile nach allen
Seiten. Den Waskonen kam bei diesem Strauß die Leichtigkeit ihrer Waffen und
das Gelände zustatten ; die Franken dagegen waren durch das Gewicht
ihrer Waffen und die Ungunst des Geländes in allem gegen die Waskonen im
Nachteil. In diesem Kampfe fielen Eggihard, des Königs Truchseß, Anshelm der
Pfalzgraf und Hruodland, der Befehlshaber im bretonischen Grenzbezirk, und
viele andere. Und dieser Unfall konnte für den Augenblick auch nicht gerochen
werden, weil sich der Feind nach Ausführung des Streichs so zerstreute, daß
nicht die geringste Spur darauf leitete, in welchem Winkel man ihn hätte suchen
können.“ 40
Bei Fachleuten gilt Einhard,
der jugendliche Hofgenosse und erste Biograph Karls des Großen, als sehr
zuverlässig. Die „vita Caroli“ ist wahrscheinlich kurz nach 830 verfaßt worden,
in lebendigem Bezug zum 814 verstorbenen Kaiser Karl. Einhard gilt auch als der
Redakteur oder Überarbeiter der „Annales“, der Jahrbücher über Karl, in denen
es beim Jahr 801 heißt: „In diesem Sommer wurde die spanische Stadt Barcelona
nach zweijähriger Belagerung erobert. Ihr Befehlshaber Zatun wurde mit vielen
anderen Sarazenen gefangengenommen.“ 41
Die Wurzeln dieses politischen
Spiels liegen in zwei Rivalitäten.
Die erste Rivalität ist eine islamische
— nicht religiös, sondern ganz handfest politisch. Im Orient gab es einen
gewaltigen Streit: die Dynastie der Omaijaden wurde von den Abbasiden gestürzt.
Die Omaijaden hatten ein islamisches
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