Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
viel
klettern; Pamplona liegt bei 450 m über dem Meer. Von der französischen Seite
her ist der Anstieg steiler. St-Jean-Pied-de-Port, nahe beim alten Dorf
Ostabat, liegt auf einer Höhe von nur 157 m. „Pied-de-Port“, das heißt „Fuß des
Passes“.
Hier begann also für den Pilger
aus dem Norden der Aufstieg.
Helmut Domke 35 hat diesen Aufstieg zu Fuß gemacht:
„…es bereitete unserer
Phantasie keine Schwierigkeiten, uns vorzustellen, wie es den Pilgern zumute
gewesen sein muß, die einst Valcarlos 36 entgegenstiegen, wie wir es heute taten... Zwei
Stunden voll schweigsamer, angestauter Erregung schritten wir schon seit
Saint-Jean-Pied-de-Port. An diesem Tag, diesem Morgen wollten sie endlich die
Pyrenäen überschreiten, die sie seit einer halben Woche als gewaltigen Wall
gegen den Horizont stehen sahen... Valcarlos lag greifbar vor ihnen... Sie
mußten erst das Gebirge queren, das unmittelbar hinter dem Ort beginnt. Aber
der Augenblick, in dem sie den Grenzort mit seiner Handvoll Baskenhäuser
betraten, bescherte ihnen doch eine Erkenntnis: sie spürten schlagartig, daß
alles Bisherige nur Vorspiel gewesen war und das große Abenteuer ihrer
Pilgerschaft erst hier begann.“ 37
Ich bezweifle, daß der Beginn
des großen Abenteuers der Pilgerschaft beim Überschreiten der Pyrenäen liegt.
Wenn das so ist, dann hätten wir diesen Beginn durch den Nebel, durch die
Wolken, fast ohne Sicht erlebt. Das könnte man mit einer Geburt vergleichen.
Ich akzeptiere: die Pyrenäen sind die „entscheidende Stufe“, das Loslassen, der
Zugang auf das Heiligtum — aber der Beginn der Pilgerfahrt liegt im
persönlichen Entschluß.
Über Landschaft wollen wir
sprechen, über den „französischen Anlauf“ auf die Sprunglatte der Pyrenäen. Was
sehen unsere Pilger, die Helmut Domke so kollegial begleitet? „Die Pilger aus dem
Tal von Valcarlos waren noch immer unterwegs. Nach viereinhalb Stunden schweren
Marsches erreichten sie die Höhe des Puerto de Ibañeta, auf der noch heute eine
Mariensäule mit der Aufschrift steht: Hier grüßt man die Muttergottes von
Roncesvalles durch ein Salve Regina.“ 38
An dieser Mariensäule stehen
auch wir und singen das „Salve Regina“. Und wir erinnern uns, daß dieses „Salve
Regina“ aus Spanien stammt. Ein Bischof Petrus von Compostela (um 952 bis 1002)
hat diese herrliche Reimprosa erfunden, gefunden:
„Salve, Regina,
mater misericordiae,
vita, dulcedo et
spes nostra, salve.
Ad te clamamus,
exsules filii Evae.
Ad te suspiramus,
gementes
et flentes in hac
lacrimarum valle.
Eia ergo, advocata
nostra,
illos tuos misericordes
oculos
ad nos converte.
Et Jesum, benedictum fructum
ventris tui,
nobis post hoc exsilium
ostende.
O clemens, o pia, o
dulcis
Virgo Maria.“ 39
Vor diesem Gebet und Gesang
sitzen wir in einer weitgestreckten, hochgelegenen Grasmulde und sprechen über
Karl den Großen, Roland, die Stauferkaiser. — Danach fahren wir über den
Erro-Paß nach Pamplona hinunter. Dabei ahnen wir ein wenig von dem, was Helmut
Domke so skizziert: „Die Pilger hatten nunmehr zweiundsiebzig Kilometer von
Saint-Jean-Pied-de-Port zurückgelegt und dabei den gewaltigen Wall der Pyrenäen
überstiegen. Jetzt erst empfanden sie, daß Spanien offen vor ihnen lag. Der
Pilgerweg und das Land waren eins geworden.“ 10
Aus dem Fenster unserer
Herberge in Pamplona sehen wir im Widerschein der untergehenden Sonne die
dunkle Bergkette der Pyrenäen. Da oben waren wir heute! Dabei haben wir etwas
von der geistigen Dimension des Gebirges gespürt, von seiner Bedeutung für den
Pilger: Große Mühe des Leibes kann münden im Lied!
Wir denken an zwei steinerne
„Zeugen“, an das Pilgerkreuz oben bei Roncesvalles und an die Mariensäule auf
dem Paß. Sie steht für das Lied nach der Mühe. Salve, Regina!
8. KAPITEL
Die Geschichte II
Neben Spanien und seiner
maurischen Eroberung, dem Gegenzug der Reconquista, dem jahrhundertelangen Hin
und Her, dem endlichen Sieg der christlichen Spanier bis hin zum Fall Granadas
im Jahr 1492 und der großen Bedeutung des Jakobuskultes für die Reconquista,
kommen nun noch andere Bilder ins Spiel. — Diese finden wir in meiner
Heimatstadt Aachen. Es gibt sie gewiß auch noch anderswo — aber meine Aachener
Bilder sind mir sehr wichtig, und darum möchte ich sie beschreiben und zu
deuten versuchen.
Ein Dokument von einzigartiger
historischer Bedeutung ist der Karlsschrein im Aachener Dom. Er birgt die
Gebeine Karls
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