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Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Titel: Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Malangré
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zugesellt. Ermüdet von so
schwerer Last und Anstrengung nahm er sich vor, keinen Krieg mehr zu beginnen
und sich mehr Ruhe zu gönnen. Da sah er plötzlich am Himmel eine Sternenstraße.
Sie begann am friesischen Meer und führte über Deutschland und Italien, Gallien
und Aquitanien, durchquerte in gerader Linie die Gascogne, das Baskenland,
Navarra und Spanien bis nach Galizien, wo damals der Leichnam des seligen
Jacobus unbekannt ruhte. Nachdem Karl diese Straße in mehreren Nächten
nacheinander erblickt hatte, fragte er sich immer wieder, was das bedeuten
solle. Als er nun eifrig über all das nachdachte, erschien ihm nachts im Traum
eine über die Maßen schöne Heldengestalt und sagte: Was tust du, mein Sohn? Er
aber sprach: Wer bist du, Herr? Ich bin, sagte jener, der Apostel Jacobus, der
Jünger Christi, Sohn des Zebedäus und Bruder des Evangelisten Johannes, den der
Herr am See von Galiläa für würdig hielt, ihn in seiner unsagbaren Gnade zum
Prediger der Völker zu erwählen, den Herodes mit dem Schwerte töten ließ, dessen
Leichnam unbekannt in Galizien ruht, das schimpflicherweise noch von den
Sarazenen unterjocht wird. Ich wundere mich über die Maßen darüber, daß du mein
Land noch nicht von den Sarazenen befreit hast, der du soviele Städte und
Länder erobert hast. Darum tue ich dir kund, daß der Herr, so wie er dich zum
mächtigsten der irdischen Könige machte, dich vor allen anderen dazu auserwählt
hat, meine Straße zu bereiten und meine Erde aus den Händen der Almoraviden zu
befreien und dir so die Krone des ewigen Lebens bereit zu halten. Die
Sternenstraße, die du am Himmel gesehen hast, bedeutet, daß du mit Heeresmacht
zum Kampf gegen das ungläubige Heidenvolk, zur Befreiung meiner Straße und
meiner Erde und zum Besuch meiner Kirche und meines Grabes aus dieser Gegend
nach Galizien ziehen sollst. Und nach dir werden alle Völker, von Meer zu Meer
wandernd und Vergebung ihrer Sünden vom Herrn erflehend, dorthin ziehen, und
sie erzählen das Lob Gottes und seine Macht und die Wunder, die er tat. Sie
werden ziehen von deiner Lebenszeit an bis zum Ende der Welt. Nun aber brich
schleunigst auf, denn ich bin dein Beistand in allen Dingen, und wegen deiner
Mühen werde ich beim Herrn für dich die Krone des Himmels erwirken, und bis zum
jüngsten Tage wird dein Name in Ehren sein.“ 49
    In diesem Text findet sich
alles: die biblische und legendäre Jakobustradition, die Missionierung Spaniens
und die seltsame Überführung des gemarterten Jakobusleibes nach Galicien, die
Rolle Karls als des großen Befreiers des Abendlandes vom Heidentum, der Auftrag
an das auf Karl zurückgehende Kaisertum zur Verbreitung des Christentums, die
Verheißung der Heiligkeit an Karl als Träger der „Krone des ewigen Lohnes“ und
die Widmung der Wallfahrt! Das Buch über die „Taten des seligen Karl in
Spanien“, der vierte Teil des „Codex Calixtinus“, fährt wenig später fort: „Die
erste Stadt, um die er einen Belagerungsring legte, war Pamplona.“ 50 Es folgt dann die
Schilderung der Einnahme Pamplonas mit der Hilfe des Jakobus.
    Ist das nicht die exakte
Textvorlage für die Szenen auf dem Dach des Karlsschreins? Ich habe keinen
Zweifel daran, daß der Künstler des Karlsschreins den „Pseudo-Turpin“ gekannt
hat, mehr noch: daß „Pseudo-Turpin“ und Karlsschrein aus der gleichen
reichspolitischen Wurzel stammen. Der „Pseudo-Turpin“ ist eine „Zweckschrift“,
die Karls kirchlich-missionarische Rolle reichspolitisch ummünzen soll. Ein
„heiliger“ Karl stärkt die Position des deutschen Kaisers gegenüber dem Papst.
Eine Intention des Karlsschreins in Aachen ist die künstlerische Ausprägung
dieser Macht- und Reichsidee.
    In Conques sehen wir im
Tympanon der Kirche Sainte-Foy, errichtet zwischen 1035 und 1060, die
großartigste und härteste Darstellung des Jüngsten Gerichts auf dem ganzen
Pilgerweg. Was sehen wir? Die Welt, die Menschen sind eingeteilt in Gut und
Böse, genau halb und halb. Im „Prominentenviertel“ des Tympanon, auf der Seite
der „Guten“, sehen wir Karl. Er ist die sechste Person neben dem Weltenrichter,
gut plaziert also, ein Bevorzugter, ein Erlöster. Für uns ist es wichtig, daß
wir diese Beurteilung Karls — ein Jahrhundert vor Barbarossa — bemerken.
So kommt manches wieder ins Lot. Vielleicht ist doch nicht alles nur
zweckvoll-politisch.
    Am Tympanon in Conques
jedenfalls ist Politik nicht aktuell.

 

    Sangüesa, Nordische Sagenwesen
neben

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