Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
Weltreich in weniger als einem Jahrhundert
aufgebaut, Afrika und Spanien gewonnen, als um 750 die Abbasiden, Nachkommen
Mohammeds, im ganzen Orient die Macht an sich reißen. Abul Abbas ist der neue
Kalif. Den Omaijaden gelingt es, Spanien zu halten. Abdal-Rahman wird Emir von
Córdoba. Aus Córdoba wird später das Kalifat, das fast ganz Spanien beherrscht,
aber — und das ist sehr wichtig — politisch getrennt vom arabischen Machtblock
der Abbasiden. Und mit diesen paktiert Karl!
Die zweite Rivalität ist eine
christliche. (Ob sie wirklich christlich ist, das möchte ich bezweifeln.) Es
geht um den Vorrang der Bischofssitze von Toledo und Santiago de Compostela, um
den Primat in Spanien, wenn nicht um mehr.
Im 8. Jahrhundert breitet sich
der sogenannte Adoptianismus in einer besonderen Ausprägung in Spanien aus. Es
geht um die göttliche und menschliche Natur Christi. Der Primas von Spanien,
Erzbischof Elipandus von Toledo, und Bischof Felix von Urgel vertreten die
These, Christus sei „wesensgleicher Sohn Gottes; in der Menschwerdung nehme er
einen Leib aus Maria an“ ; so sei Christus „nicht Sohn Gottes durch
Zeugung, von Natur, sondern durch Adoption aus Gnade“ 42 . Papst Hadrian I. widerspricht diesem
„Adoptianismus“, eine Synode in Regensburg unter dem Vorsitz Karls (!)
verhandelt 792 über die Sache. Felix von Urgel ist anwesend. Er wird der
Irrlehre beschuldigt, schwört ab, gibt jedoch nicht auf. Weitere Synoden in
Frankfurt (794) und Aachen (798) folgen: große Namen wie Alkuin, Benedikt von
Aniane, Beatus de Liébana kommen ins Spiel, schließlich siegt die „wahre
Lehre“. Der Erzbischof-Primas von Toledo steht „unter Beschuß“. Das ist die
Stunde für Santiago de Compostela (das damals noch gar nicht so hieß). Was
liegt näher, als Anlehnung an die Franken als mächtigste politische und kirchliche
Ordnungsmacht im Abendland des 8. und 9. Jahrhunderts zu suchen? Das
Frankenreich war „die einzige Macht, an welche das an den Nordrand der
spanischen Halbinsel zurückgedrängte christliche Königreich Asturien und
Galicien eine Anlehnung versuchen konnte. Das Vordringen der Franken brachte
dem kleinen Reich, dessen eine Flanke jetzt auch durch die Mark gedeckt war,
Ruhe vor den Angriffen der Araber. König Alfons II. ließ es sich angelegen
sein, um die Freundschaft des fränkischen Königs zu werben.“ 43
Und just dieser Alfons II. — er
regierte von 792-842 — ließ über den soeben gefundenen Gebeinen des Apostels
Jakobus eine erste Kirche errichten.
Santiago de Compostela heißt
damals noch Iria Flavia. Bischof Theodomir ist eigentlich alles zu verdanken.
Er ist der große Regisseur vor Ort. Und er ist keine Sagenfigur. In einem Gang
zwischen zwei Kapellen um die Kathedrale von Santiago de Compostela sehen wir
selbst den Sarkophag mit der Inschrift, daß hier Bischof Theodomirus ruhe, der
Entdecker des Apostelgrabes, 847 gestorben. — Welch grandioses Vexierspiel
zwischen Machtpolitik und Theologie und Frömmigkeit! (In Parenthese: ein
Aachener Weihbischof ist heute Titularbischof von Iria Flavia.)
Das große Spiel geht weiter.
Das so komplexe In- und Miteinander der verschiedenen Ebenen setzt sich über
die Jahrhunderte fort, zunächst bis in die Zeit der Stauferkaiser. — Friedrich
I. „Barbarossa“ ist an Karl dem Großen sehr interessiert. Karl ist die große
Leitfigur in der sich immer mehr zuspitzenden Auseinandersetzung zwischen
weltlicher und kirchlicher Macht, zwischen Kaiser und Papst. Schauen wir noch
einmal auf den Aachener Karlsschrein. Barbarossa hat ihn 1165 bei der
„Erhebung“ der Gebeine Karls — gemeint ist nicht nur deren körperliches
Hervorholen aus dem Marmorsarkophag, sondern ihre geistliche Erhebung „zur Ehre
der Altäre“, die Kanonisierung also — in Auftrag gegeben. Von ihm stammt die
„Idee“ des Schreins, seine Konzeption.
Diese „Schreinidee“ ist
ablesbar aus der Auswahl und Gruppierung der Figuren und den begleitenden
Inschriften. Der Befund ist eindeutig. Erich Stephany erläutert: „Die Bildidee
des Aachener Schreines... unterscheidet sich ganz und gar von der üblichen
Ikonographie der großen Schreine. Die Stirnseite bringt die thronende Gestalt
Karls des Großen als des heiligen Kaisers. Er ist begleitet von den stehenden
(!) Figuren des heiligen Papstes Leo III. und des heiligen Bischofs Turpin.“ 44 — Erstaunlich, der
Kaiser sitzt auf dem Thron, neben ihm stehen gleichberechtigt Papst und
Bischof, letzterer einer
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