Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
der sagenhaften Paladine Karls! — „Über dem Bild des
Kaisers ist in einem Medaillon das Brustbild Gottes oder des Erlösers, mit
segnend erhobener rechter Hand. Die beiden anderen Medaillons sind heute ohne
Bild. Sie dürften vielleicht Bilder der Apostelfürsten gehabt haben. Die
Inschrift um dieses Bild lautet: Lenker der Welt, der du ewig regierst, sei
der Schöpfung Beschirmer. Der von Gott gesegnete heilige Kaiser nimmt die sonst
Christus vorbehaltene Stelle am Schrein ein und ist deshalb Papst und Bischof
übergeordnet. Er ist der Stellvertreter Christi.“ 45
Die staats- und
kirchenpolitische Kühnheit dieser „Schreinidee“ geht noch über das hinaus, was
Heinrich IV. im „Investiturstreit“ kaum hundert Jahre früher gefordert und im
Bußgang nach Canossa 1077 abgeschworen hat.
Für uns Jakobuspilger ist
wichtig, daß die Wallfahrt Karls nach Santiago bei Friedrich Barbarossa eine
große politische Bedeutung hat: Sie ist Teil der Begründung für die
Heiligsprechung Karls — und diese wiederum Teil der Begründung für den Primat
des Kaisers gegenüber dem Papst. Kann Wallfahrt, kann Pilgertum politische
Prioritäten schaffen? Offenbar ja.
Was will der Karlsschrein? Was
will Barbarossa um 1165? Ich zitiere den Jesuiten Hans Wolter: „Das Jahr 1165
schloß ab mit der feierlichen Erhebung der Gebeine Karls d. Gr. in Aachen, den
Rainald von Dassel als zuständiger Metropolit kanonisierte in Anwesenheit
Kaiser Friedrichs. Diese Manifeste des Jahres 1165 zeigten deutlich, in welchem
Sinn Friedrich sein Kaisertum in der Kirche zur Geltung bringen wollte,
vielleicht nicht in dem schroffen Sinn, daß er herrschend den Episkopat und das
Papsttum in reiner Dienstfunktion an das Reich zu binden gedachte, sicher aber
so, daß er seinen eigenen Dienst an der Kirche (als defensor) nur dann zu
leisten gewillt war, wenn der ,honor imperii’ mit dem ,honor papatus’ in
Einklang gebracht werden konnte.“ Was heißt das: die „Ehre des Reiches“ mit der
„Ehre des Papsttums“ in Einklang bringen? Wolter erläutert: „Praktisch sah das
so aus, daß souverän nur der honor imperii, der honor papatus aber
höchstens autonom war im Verband des universalen Reiches, das mit
der Christenheit ... zusammenfiel.“ 46
Jetzt verstehen wir vollends
die Bildidee des Karlsschreins und ihre politische Tendenz: „Conregnator,
Mitherrscher Jesu Christi, nennt die Sequenz des Karlsfestes, das um 1215
entstandene ,Urbs aquensis’, den Kaiser.“ 47 Wohlgemerkt: Nicht Karl der Große selbst ist
der Betreiber dieser Politik, sondern der Staufer Friedrich I. streitet hier
gegen den Papst Alexander III., gestützt auf den „Gegenpapst“ Paschalis III.
Nachdem wir Zusammenhänge
zwischen Wallfahrt und Politik gesehen haben, wundert es uns nicht mehr, daß
die große Schilderung der Wallfahrt Karls zum Grab des Santiago im vierten Buch
des „Codex Calixtinus“, im sogenannten „Pseudo-Turpin“, aus dem Jahre 1165
stammt. Es ist das Jahr der Erhebung der Gebeine Karls und der Stiftung des
Karlsschreins durch Barbarossa!
Friedrich I. Barbarossa regiert
von 1152 bis 1190. Der Karlskult kulminiert in der Heiligsprechung 1165, der
Schrein ist 1215 fertig. Die Texte des „Pseudo-Turpin“ können um 1130 bis 1140
entstanden sein. 48 Eine Version Mons (Belgien) — Aachen datiert 1173-83. Das läßt sich
zusammenfügen, wenn man den Text des „Pseudo-Turpin“ in der Übersetzung von Hans-Wilhelm
Klein auf sich wirken läßt und dabei die reichspolitische Komponente bedenkt:
„Jacobus, der ruhmreiche
Apostel Christi, predigte, wie es heißt, als erster in Galizien, während die
anderen Apostel und Jünger des Herrn verschiedene andere Gebiete der Welt
besuchten. Später, als der Leib des Apostels durch Herodes entseelt und von
Jerusalem über das Meer nach Galizien gelangt war, predigten seine Nachfolger
in eben diesem Galizien. Die Galizier aber ließen, von ihren Sünden bedrängt,
von ihrem Glauben ab und fielen in den Unglauben zurück, bis zu der Zeit Karls
des Großen, des Kaisers der Römer, der Gallier, der Deutschen und anderer
Völker. Dieser Karl nun hatte unter großen Mühen in vielen Zonen mehrere Reiche
— nämlich England, Gallien, Deutschland, Bayern, Lothringen, Burgund, Italien,
die Bretagne und andere Gebiete, ferner ungezählte Städte von Meer zu Meer —
unter göttlichem Beistand mit unbesiegbarem Arm seiner Macht unterstellt, den
Händen der Sarazenen entrissen und dem Christenreich
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