Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
Kathedrale Ste-Marie. Und wieder ist es das Tympanon, das
uns fasziniert: ein dreifaches Tympanon unter dreigestuften Archivolten. Welch
ein Programm!
Es gibt mehrere großartige,
zutreffende Beschreibungen dieses Programms (z. B. bei den Hells, bei Domke,
bei Legler). Ich greife das heraus, was in meiner Erinnerung besonders lebendig
geblieben ist:
Wir begegnen in Oloron zum
ersten Mal der spanischmaurischen Auseinandersetzung. Die Last des „Trumeaus“,
des Mittelpfeilers des Tympanons von Ste-Marie tragen zwei gefesselte
Sarazenen.
Wir begegnen einer
„Kreuzabnahme“. Im Hauptfeld des Tympanons ist dargestellt, wie Josef von
Arimathäa den Leib des Herrn vom Kreuze löst. Die rechte Hand des Gekreuzigten
fällt in den Arm einer Frau. Vielleicht ist es Salome, die Mutter des Jakobus,
welche nach den Berichten von Matthäus und Markus die Kreuzigung Jesu
miterlebte.
Wir begegnen auch Szenen
irdischer und himmlischer Heiterkeit. Da sind im äußeren Bogen der Archivolten
die vierundzwanzig Ältesten der Apokalypse mit ihren Instrumenten und mit
großen Phiolen. Ob wohl Wein darin ist? Wahrscheinlich, denn im Bogen darunter
rüstet sich ein seltsames Volk zum „himmlischen Hochzeitsmahl“: Menschen des
Béarn mit allen fröhlichen Deftigkeiten ihres Landes, mit Käse, Schinken,
Fisch, Wein und noch mancherlei Gutem.
So ist auch Oloron wieder ein
Brückenschlag zwischen Himmel und Erde. — Wir steigen jetzt hoch auf den Paß
von Somport. Was finden wir auf der anderen Seite?
11. KAPITEL
Die Landschaft II
Die spanische Landschaft ist
ein ganz neues Erlebnis!
Neu sind die Formen, neu ist
das Licht, neu sind Farben und Atmosphäre. Neu ist die Deutlichkeit, die Härte,
die Klarheit, die noch größere Weite. Die spanische Landschaft ist heroisch und
doch auch bizarr. Dies ist das Land des Cid und Don Quijotes.
Könnte man das erwandern! Wir
sind ja nur mit dem Bus unterwegs, die Impressionen sind kurz, zu kurz. Manches
kann man nur erahnen. Schon das ist eine wichtige Einschränkung. Dann eine
zweite: Von spanischer Landschaft sehen wir — rein geographisch — nur einen
kleinen Ausschnitt: Nordspanien von Aragonien über Navarra und Kastilien bis
nach Asturien und Galicien. Das ist die Kernlandschaft, von der aus die
Reconquista Spanien eroberte. Wie sieht sie aus?
Folgen wir unserem Reiseweg.
Bei Jaca endet die Paßfahrt über den Somport. — Der dichte Nebel hat aufgehört,
wir sehen die Zitadelle von Jaca und machen Pause nach langer Fahrt über
schmale Serpentinen.
Spanien ist sehr reich an
Gebirgen und eines der höchstgelegenen Länder Europas. Unsere modernen
Massentouristen kennen von Spanien fast nur die Strände am Mittelmeer. Aber
diese sind ja nicht „Spanien“. Man muß wissen, daß ganz Spanien — ausgenommen
die Flußtäler des Ebro, des Tajo, des Guadiana, des Guadalquivir und schmale
Küstenstreifen am Mittelmeer — mehr als 500 m über dem Meeresspiegel liegt, mit
Höhen bis über 3000 m und einer mittleren Höhe des gesamten Landes von 660 m.
Dann versteht man, daß Spanien ein Gebirgsland ist. In seinem Zentrum liegen
die „Meseta“ und die „Mancha“, jene gewaltigen Hochebenen, die fast das ganze
Spanien überziehen. Die Hauptwasserscheide des Landes verläuft ost-westlich
durch die Pyrenäen und „kippt“ dann etwa bei Burgos nach Süden, unaufhörlich
fallend bis nach Gibraltar.
Diese geographische
Grundstruktur läßt erkennen, daß unsere Pilgerreise sich — wieder geographisch
— auf „hoher Ebene“ bewegt: erst Pyrenäen, dann Meseta und Kantabrisches
Gebirge.
Bergwelt und Hochebene haben
ihre Besonderheiten. Die Luft ist dünn, die Farben sind klar, alle Linien sind
präzise und bis in die Weite verfolgbar. Das ergibt ein Landschaftsbild, in dem
man Charakterzüge findet, die mit „Entschiedenheit“, „Unbeirrbarkeit“,
„Heroismus“, manchmal mit „Fanatismus“ bezeichnet werden können.
Jaca liegt auf einer Höhe von
820 m. Im Norden sieht man die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen mit Bergen
um 3000 m, im Süden lockt die „Sierra de San Juan de la Peña“, etwa 1500 m
hoch. Dazwischen rauscht der Rio Aragón westwärts und dann südwestwärts, bis er
bei Villafranca in den Ebro mündet. Eine herrliche bergige Landschaft begleitet
den Lauf des Flusses.
Der Rio Aragón ist ein sehr
lebendiger Fluß, schnell, wasserreich, temperamentvoll. Er speist einen der
größten Stauseen Nordspaniens: der „Embaise de Yesa“ faßt
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