Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
Toulouse an: „Am
Südportal, der Porte Miègeville, ist links Jakobus dargestellt, an der
entsprechenden Stelle auf der rechten Seite steht Petrus — die beiden
Hauptapostel des Christentums in der damaligen Auffassung. Jakobus steht
zwischen zwei Baumstämmen ...“ — die Deutung dieser mit Löwenköpfen gekrönten
Baumstämme ist unklar „in der einen Hand hält er das Buch des Evangeliums, die
andere hat er zum Segnen erhoben. Auf dem Nimbus steht sein Name geschrieben...
Das großflächig angelegte Gesicht, die schematischen Falten und andere Details
lassen auf eine Abhängigkeit des Künstlers von den Chorumgangsreliefs
schließen.“ 60 Da
sehen wir wieder den Einfluß unseres sagenhaften Meisters Gelduinus!
Hauptszene des Tympanons von
St-Sernin ist wiederum die Darstellung der Himmelfahrt Jesu. Diese Himmelfahrt
bringt alles in Bewegung, die staunenden Apostel unten und die beglückten
himmlischen Wesen oben. Wir denken an Cahors, an den Gegensatz zwischen
trauernd zurückbleibender Erdengemeinde und entzückt bewegter Himmelswelt. — Das
ist das Besondere, Neue, Weiterführende der Porte Miègeville in Toulouse:
dieser Gegensatz wird aufgehoben. Der himmlische Impuls teilt sich den
Erdverbliebenen mit. Geflügelte Wesen, Engel sind bei ihnen, melden die
Botschaft. Es kommt Bewegung in die Apostelschar, die ersten schicken sich an
zur Rückkehr vom Ölberg nach Jerusalem, zur Mission, zur Verkündigung. „Während
sie aber unverwandt zum Himmel starrten, wohin Christus ihren Augen
entschwunden war, standen plötzlich zwei Männer in lichtglänzenden Gewändern
bei ihnen und sprachen sie an: Ihr Galiläer, was steht ihr hier und schaut zum
Himmel? Dieser Jesus, der eben von hier weggenommen wurde in Gottes Welt, wird
auf dieselbe Weise wiederkehren, in der ihr ihn habt Weggehen sehen. Da kehrten
sie nach Jerusalem zurück von der Höhe, die Ölberg heißt und nahe bei Jerusalem
liegt“ (Apg 1, 10-12). Das sehen wir in Toulouse: die Ankunft Christi in
„Gottes Welt“ (Apg) und die Belehrung der Apostel, die Aufforderung und
Bereitschaft zur „Rückkehr nach Jerusalem“ (Apg).
In Toulouse besuchen wir auch
die gewaltige Hallenkirche „Les Jacobins“ aus dem 13. und 14. Jahrhundert. —
Die Bauidee dieser Kirche: Von 1230-1235 entstand zunächst „ein schlichtes
Rechteck von 60 m Länge und 20 m Breite“. Dieser Bau war „durch fünf einfache
Pfeiler in zwei Schiffe von ungleicher Breite eingeteilt... Das nördliche
Schiff (9 m) diente als Kirche der Konventsbrüder, das 2 m breitere südliche
Schiff war für den Empfang der Predigt durch das Volk vorgesehen.“ 61 Dieser zweigeteilte
Baukörper wird dann 1245-1252 um eine große, polygonale Chorapsis erweitert.
Von 1275-1292 erhält diese das einmalig schöne „Palmier“, das von der letzten
Mittelsäule ausgehende Deckengewölbe mit seinen wie Palmenäste rundum sich
streckenden Rippen, frappant und schlüssig zugleich, ein Netzgewölbe von großer
Eleganz. Hier empfängt der Raum — nunmehr fast doppelt so groß wie früher —
seine Krönung: das zweischiffige Langhaus, die Halle, vollendet sich im
siebeneckigen Chor. — Um diesen Raum zu begreifen, muß man den Grundcharakter
einer Predigerkirche erfassen. Dominikaner waren die Hausherren. Ihr Orden
nannte sich „Ordo praedicatorum“. 1368 bestimmt Papst Urban V. ihn als
Ruhestätte der Gebeine des hl. Thomas von Aquin, des wohl größten
mittelalterlichen Theologen. Der Papst betont: „In dem Maße, wie der hl. Thomas
von Aquin unter all den großen Gelehrten seiner Zeit durch die Schönheit
hervorrage, so überträfe die Jakobinerkirche in Toulouse alle ihre Zeitgenossen
ebenfalls an Schönheit und Majestät.“ 62 So sehen wir den Sarkophag des Thomas vor der
nördlichen Längswand und denken tiefbewegt an eines seiner zentralen Gebete:
„Adoro te devote...“
„Gottheit, tief verborgen,
betend nah ich dir.
Unter diesen Zeichen
bist du wahrhaft hier.
Sieh, mit ganzem Herzen
schenk ich dir mich hin,
weil vor solchem Wunder
ich nur Armut bin.“ 63
Unser geistlicher Leiter,
Prälat Nusselein, betet diesen Text mit uns vor dem Sarg des Aquinaten. Da wird
Kunst zum Gottesdienst.
Wir können nicht verweilen. Es
geht weiter. „E ultreia“ — ein alter Pilgerruf!
So fahren wir nach Oloron, am
Fuß der Pyrenäen, vor dem Aufstieg zum Somport-Paß. Wir sind ein wenig
aufgeregt, doch wir müssen Geduld haben. Auch hier finden wir Kunst, große
Kunst sogar, in der
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