Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Titel: Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Malangré
Vom Netzwerk:
unvergleichliche Leistung mittelalterlicher
Baumeister, dem Notwendigen eine geistige Überhöhung zu verleihen und die einzelnen
Kompartimente zum Abbild einer hierarchischen Weltordnung zu machen. Vollends
gilt es für St-Sernin. Die Macht, die von seinem Innern ausgeht, ist die einer
vollkommenen Harmonie.“ 59
    So schwärmen wir vom
romanischen Monumentalbau, der gewaltigen und doch so geistvollen Pilgerkirche.
Aber vergessen wir darüber nicht die wundervollen Einzelstücke und Ensembles:
den Altar, die Reliefplatten im Chorumgang, das Südportal.
    Der Altar: Meister Gelduinus
hat ihn geschaffen. — Am 24. Mai 1095 zieht Papst Urban II. nach seiner
flammenden Predigt für den ersten Kreuzzug in Clermont-Ferrand — wie eng hängt
das alles zusammen! — in die halbfertige Kirche Saint-Sernin zu Toulouse ein.
Den Papst und sein Gefolge erwartet ein Altar von ungewöhnlicher Form, Größe
und Schönheit. Es gibt ihn noch heute.
    Ich sehe ihn vor mir: Er ist
groß, fast drei Meter lang, knapp halb so breit. Aus Pyrenäenmarmor ist er
geschlagen. Neben seiner künstlerischen Form fällt seine liturgische Funktion
ins Auge: er dient dem Brot, er dient dem Wein. Mulden in der Altarplatte
nehmen die Hostien auf, Rinnen den geweihten Wein. So ist der Altar Kelch und
Patene in einem, steinernes Opfergefäß. Ich stelle mir vor, daß man an ihm sehr
viel elementarer Eucharistie gefeiert hat, als wir das heute tun. — Ein
wundervoller Schmuckfries ziert den Altar auf der Tischfläche und an den
Seiten. Er umrahmt dreistufig die Opferplatte mit ihren Symbolen. Auf der
Vorderseite sehen wir unter reichem Wolkendekor Christus in der Glorie, umgeben
von Engeln; an den Schmalseiten Maria und die Jünger, eine legendäre
Himmelfahrt (Alexander d. Gr.?) ; auf der Rückseite kunstvolle Ranken
und Vögel.
    Die Widmung des Altars an
Saturninus fehlt nicht. Die Signatur an der Oberkante bestätigt: „Gelduinus me
fecit“ — „Gelduinus hat mich geschaffen.“
    Das können auch noch andere
Kunstwerke der Basilika Saint-Sernin von sich sagen: Z.B. die Reliefplatten im
Chorumgang. Man weiß heute nicht mehr, wo ihr ursprünglicher Platz war.
Bewundern wir sie da, wo sie jetzt sind, hinter dem Altar, im „Ambiente“ des
Pilgers, auf dem Weg zur Krypta. Wir sehen ein Christusbild von
unvergleichlicher Ausdruckskraft, humaner Majestät. „Mit einem von Wissen
schweren Gesicht sitzt der Herr vor uns ; die machtvollen Augen weit geöffnet,
die Nase schmal und lang. Um den Mund mit der ein wenig verdickten Unterlippe
spielt kaum merkliche Freundlichkeit. ,Pax vobis, Friede sei mit euch’ steht in
dem aufgeschlagenen Buch in seiner Linken geschrieben. Dieses Antlitz wirkt,
als tauche es aus dem Dunkel des Weltalls, ist über alles Zuständliche und
Daseiende weit hinaus, in dessen Begrenzung sich allein Schönheit entfalten
kann, und so wirkt es auch eher hieratisch, und doch verkörpert es eine
entschiedene Wendung: Christus steht hinter allem.“ 13
    Reißen wir uns los aus dem so
gewichtig-schönen Innenraum von St-Sernin und gehen wir wieder nach draußen, in
die Sonne, in das so klare und heitere Licht des französischen Südens. Da sehen
wir dann das Südportal von St-Sernin, die „Porte Miègeville“, so genannt, weil
sie der Stadtmitte, „mieja vila“, zugewandt ist. Wir wissen nicht, ob Meister
Gelduinus auch hier die Hand im Spiel hatte. Vielleicht nicht direkt, aber doch
wohl im Sinne einer geistigen Inspiration, welche die Skulptur der
französischen und spanischen Romanik — bis hin nach Jaca und Santiago de
Compostela — entscheidend beeinflußt.
    Was sehen wir an der „Porte
Miègeville“? Wir betrachten eine wundervoll harmonische Einheit von Tor,
Torbogen und den seitlichen Begleitfiguren des Jakobus und des Petrus. Sie sind
die symbol- und figurenumgebenen „Wächter“ des Eingangs. Schon die Konkurrenz
ist interessant: Petrus und Jakobus. Wir sind gewohnt, die „Apostelfürsten“
Petrus und Paulus zu verehren. Gehen hier die Uhren anders? — Ja, sie gehen
anders. Wir kommen in die Nähe Spaniens. Dort steht Paulus nicht in der
historischen und aktuellen Diskussion. Wir haben zwar Zeugnisse dafür, daß
Paulus nach Spanien reisen wollte; aber es ist wohl nie dazu gekommen. Genauso
ungewiß ist ja, ob Jakobus je in Spanien war — doch er wurde in Spanien als
geistige und politische Symbolfigur „gebraucht“. So ist er denn „da“, auch
schon auf dem Weg durch Frankreich. Schauen wir ihn uns in

Weitere Kostenlose Bücher