Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
vorbei fließt er nach Südwesten, zum sagenhaften Zaragoza
bis zur Mündung ins Mittelmeer.
Die „Ebro-Linie“ — was
bedeutete sie? Zwei große Flüsse trennen Nordspanien vom ehemals maurisch
beherrschten Mittel- und Südspanien: der Rio Duero und der Rio Ebro. Der Ebro
ist um 800 die Südgrenze der „Spanischen Mark“ Karls des Großen. Im Ebrobecken
breitet sich drei Jahrhunderte später in der Reconquista das Königreich Aragon
aus. Zaragoza wird 1118 seine Hauptstadt. — Der Duero ist im 11. Jahrhundert
die hart umkämpfte Grenzlinie zwischen León und Kastilien gegenüber dem Emirat
und späteren Kalifat von Córdoba. Zwei Flüsse, zwei „Schicksalsströme“.
In Logroño, im Tal des Ebro,
sind wir mit 385 m an einem der niedrigsten Punkte unserer Reise. Die
Landschaft wandelt sich. „Die N 111 von Pamplona nach Logroño... durchfährt
eine Mittelgebirgslandschaft, langsam sinken die Berge zu Hügelketten ab, der
Bergwald verwandelt sich in Buschwald. Mehrere kleine Flüsse stürzen ,vom
Schnee zum Korn’, führen ihr Wasser dem Ebro zu, dann und wann taucht ein
kleines Dorf auf, um eine alte Kirche geschart.“ 14
Dann klettern wir wieder ein
wenig. Wir schlagen einige „Haken“ und erleben in Berg und Tal die Kirchen von
„Suso“ und „Yuso“, von „oben“ und „unten“.
Im 6. Jahrhundert lebte hier
ein Einsiedler namens Millán, was vom lateinischen „Aemilianus“ abgeleitet ist
und bei uns im „Emil“ seinen wackeren Nachfahren findet. — Unser spanischer
Millán trug als Eremit natürlich eine Kapuze, und da er im Rufe der Heiligkeit
stand, hieß er überall „San Millán de la Cogolla“, der heilige Emil mit der
Kapuze. Er lebte in den Grotten und Höhlen der Bergwildnis, in die wir aus dem
Ebrotal von Logroño über Najéra hinaufsteigen. — Und nun muß man spanischen
Landesstolz und Partikularismus beachten, um zu begreifen, daß San Millán ein
echter Gegenspieler zu Santiago, zu Jakobus, wurde. Sein Grab lag in Kastilien,
das des Jakobus aber in León, der asturischen Hauptstadt. Kastilien brauchte
seinen eigenen Heiligen, bis es mächtig und groß genug war, das Übergewicht
Leons nicht mehr fürchten zu müssen. Das führte dazu, daß San Millán ebenfalls
zum „Matamoros“, zum Maurentöter, zur Symbolgestalt der Reconquista aufgebaut
wurde. Wir finden sein Grabmal in „Suso“ und sein streitbares Bild als Kämpfer
zu Pferd am Hauptaltar von Yuso. Die Austauschbarkeit der Bilder und Figuren
ist ein Phänomen der spanischen Heiligenverehrung und Ikonographie. Keine
Frage, daß Kastilien den Millán nicht mehr braucht, als es im 12. und 13.
Jahrhundert León überrundet und schließlich nach der Vereinigung Asturiens mit
Kastilien 1230 die beherrschende, alleinige Macht im christlichen Spanien wird.
Da ist dann auch für Kastilien der Santiago voll „hoffähig“.
Die zweite Geschichte ist weit
weniger politisch, aber viel poetischer. Sie rankt sich um die Kirche Santo
Domingo de la Calzada. Der Heilige, nach dem diese Kirche benannt ist, ist
nicht etwa der große Ordensmann Dominikus, sondern ein Baumeister und Architekt
gleichen Namens, der für die Pilger Straßen und Brücken baute. Das Besondere an
dieser Kirche ist ein Käfig in ihrem Innern, in dem ein Hahn und eine Henne
sitzen, die von den Bauern der Gegend seit Jahrhunderten geschenkt, gehalten
und erneuert werden. Eine Legende gibt Auskunft über den Ursprung dieser
Tradition: „Ein Pilger steigt in der Herberge des Ortes ab, die Wirtstochter
verliebt sich in ihn, er weist sie wie Joseph in Ägypten zurück, sie schwindelt
rachsüchtig in das Gepäck des Pilgers einen goldenen Becher ein, und unser
Pilgrim wird gefangengenommen und gehenkt. Wehklagend ziehen seine Eltern nach
Santiago, und als sie wieder nach Santo Domingo zurückkehren, lebt der Jüngling
noch: der heilige Jacobus hat ihn am Galgen gestützt. Die Eltern eilen zum
Richter, der sich gerade Hühner am Spieß braten läßt, berichten alles
Vorgefallene, aber der ungläubige Richter erklärt ihnen: eher würden die Hühner
am Spieß wieder lebendig als ihr Sohn. Was nun geschieht, ist leicht
vorauszusehen: die Hühner flattern wirklich davon.“ 15 Die Pointe dieser Geschichte wird „nachgespielt“
bis auf den heutigen Tag. Hahn und Henne gockeln und gackern in der Kirche! Das
sind franziskanische Perspektiven...
Am nördlichen Rand der Sierra
de la Demanda mit dem 2132 m hohen San Millän bewegen wir uns nach Westen auf
das 850 m
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