Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
hoch gelegene Burgos zu. Burgos ist die Stadt des Rodrigo Diaz de
Vivar, bekannt unter seinem Heldennamen „El Cid“. Der Cid ist das weltliche
Gegenbild zum Santiago, ein Feldherr und Held, unerbittlich gegen sich und
seine Feinde, 1099 in Valencia erschlagen, begraben in Burgos. Das Heldenepos
„Cantar del Mio Cid“ besingt ihn, ganz Spanien feiert ihn bis heute. — Burgos
ist auch die Stadt des hochgotischen Kirchenkomplexes, einer Kathedrale von
üppiger Schönheit gotischen Hoch- und Spätstils mit direkten Beziehungen zum
Dom von Köln. Auch das Kleinod nahe bei Burgos, das Karthäuserkloster, die
„Cartuja de Miraflores“, wurde von einem Kölner gebaut.
Es gibt ein spanisches
Sprichwort: „Neun Monate Winter, drei Monate Hölle.“ Damit ist Burgos gemeint,
mehr aber noch seine westliche Umgebung: die Meseta.
Die Meseta ist spanisches Kernland,
die zentrale Hochebene Alt-Kastiliens. Sie erstreckt sich von Burgos im Osten
bis bald nach León im Westen, dann südlich weit nach Mittelspanien hinein, nach
Salamanca, Avila und Segovia. Die Meseta ist .. die Kornkammer Spaniens, mit
unendlichen Horizonten. Riesige Felder, wenig Flüsse oder Bäche, und keine
Wälder, nur ab und zu eine einzelne dunkelgrüne Eiche“ 16 .
In dieser Meseta erleben wir
den Pilgerweg „zu Fuß“. Zwischen Carrión de los Condes und Sahagún steigen wir
aus dem Bus und gehen ein Stück über den alten Pilgerweg neben der modernen
Straße. — Ich weiß, das ist nichts, gar nichts gegenüber den Mühen und
Erlebnissen der „echten“ Pilger. Und doch bedeutet es viel für uns. Es ist
körperliche Berührung mit dem „camino“, bewußte Bewegung auf dem alten Pfad der
Millionen, die hier gewandert sind. Das gibt es ja: man kann Zeit „raffen“, sie
bannen aus der langen Dehnung in den kurzen Moment. So etwas geschieht hier.
Wir laufen auf der Hochebene der Meseta, unter der Sonne Kastiliens, noch im
grünenden, blühenden Frühsommer. — Einen Monat später wird alles verdorrt sein.
Bei León verändert sich die
Landschaft. Wir kommen an die südlichen Ausläufer der „Cordillera Cantábrica“,
des Kantabrischen Berglandes. Dieses Bergland wird uns bis kurz vor Santiago de
Compostela begleiten. Erst beim Cebreiro-Paß werden wir es verlassen.
León liegt mit etwa 830 m
relativ niedrig. Nach der Meseta mit ihren kahlen Hochflächen sehen wir wieder
Wasser, Wälder, Fruchtbarkeit. Ein spanischer Reiseführer — offenbar an große
Höhen gewöhnt — schreibt ganz typisch: „In einer flachen (!) Landschaft, 822 m
über dem Meeresspiegel, wo Torio und Bernesga zusammenfließen, liegt die im
Jahre 70 von der römischen Legion Séptima Gemina gegründete Stadt León... Von
Legio, der Legion, leitet sich der Name der Stadt ab.“ 17 Teile der römischen Mauern von León sieht man
noch heute. Die römischen Mauerreste von León finden bei der Weiterfahrt ihre
„Partner“ in Astorga — ehemals „Asturica Augusta“ — , einer kleinen Stadt
westwärts, in den „Montes de León“. Immer wieder „Montes“, „Sierra“,
„Cordillera“ ... große, beherrschende Gebirgswelt Spaniens!
Diese Gebirgswelt regiert auch
unsere letzte Tagesstrecke auf der Fahrt nach Santiago: In León brechen wir
auf, fahren über Astorga und Villafranca (erinnern Sie sich an die „Puerta del
Perdón“?) und erreichen von Piedrafita aus — schon 1100 m hoch — den
Cebreiro-Paß.
Der Pilgerweg nähert sich dem
Ziel. Die Eindrücke unterwegs waren schön, hart, beglückend, ängstigend,
verheißungsvoll, abschreckend, faszinierend...
Landschaft prägt den, der sich
in ihr bewegt. Aber Landschaft wird auch von denen geprägt, die sich in ihr
bewegen. Landschaft ist nicht nur vorgegeben als fertige Schöpfung Gottes. Sie
ist gleichzeitig Auftrag, als Aufgabe anzunehmen und zu gestalten, zu
bewältigen, zu beherrschen. „Macht euch die Erde untertan...“ (Gen 1, 28).
Das Wort „Kultur“ kommt vom
lateinischen „colere“: bebauen, bewohnen, pflegen. Damit ist der Acker gemeint,
der Boden, der Berg. Spaniens Norden ist geprägt vom Fleiß seiner wechselnden
Bewohner und von den Pilgern, ihrer Betreuung, ihrem Durchzug, ihren Gaben und
Ideen. Colere — das Partizip Perfekt-Passiv heißt cultus: davon leitet sich der
Begriff „Kult“ ab.
12. KAPITEL
Die Kunst III
Wenn „Landschaft“ so verstanden
wird, wie es am Schluß des vorhergehenden Kapitels angedeutet wurde, ist zur
„Kunst“ kein Sprung. Wir haben wiederholt
Weitere Kostenlose Bücher