Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
der
ebenfalls Architekt wurde wie auch dessen Sohn Francesco.“ 65
Da haben wir es, menschlich und
künstlerisch, das deutsch-spanische Spiel, das zu so wunderbaren Ergebnissen
führte, wenn keine nationalen Ansprüche erhoben, sondern der Austausch, die
Wechselbeziehung, das Geben und Nehmen gelebt und fruchtbar gemacht wurden.
Nur ein paar Worte zur Fassade
der Kathedrale von Burgos: Unten die Portalzone, zerstört im 17. und 18. Jahrhundert
und sehr schlicht erneuert, dann das zweite Geschoß mit dem wunderbaren
Rosettenfenster aus dem 14. Jahrhundert, im dritten Geschoß die
Figurenprogramme der Heiligen und Kirchenväter. „Im Mittelfeld der Fassade über
der Rosette sind, von Spitzbögen überwölbt, acht kastilische Herrschergestalten
postiert, die man nur schwer identifizieren kann... Die Krönung des Mittelteils
geschieht... durch eine monumentale, brüstungsartige Schrift in gotischen
Lettern: ,Pulchra est et decora’. Sie ist dem Hohen Lied entnommen und spielt
auf die Heilige Jungfrau an, deren Standbild die Schrift in der Mitte
unterbricht.“ 66 —
Und darüber stehen dann rechts und links die Türme mit einem weiteren, von
Fialen gekrönten Geschoß und den durchbrochenen, gotischen Turmhelmen. Ein
herrlicher Anblick! Er hat nichts von dem oft schwindelerregenden Sog deutscher
Gotik. Bei allem Aufwärtsstreben beruhigt die dreimal wiederkehrende
Horizontale.
Unser Rundgang führt uns auf
die Südseite, vorbei an der Capilla del Santísimo Cristo und anderen Kapellen,
zu der großen Treppe in der Mitte der Südseite, die auf die Puerta del
Sarmental zuführt. Französische Künstler haben hier gewirkt. Christus ist im
Tympanon zu sehen, umrahmt von den vier Evangelisten und ihren apokalyptischen
Symbolen. — Wir gehen noch nicht in die Kathedrale hinein, obwohl uns die
Puerta del Sarmental geradewegs zum Grab von El Cid in der Mitte des
Hauptschiffes führen würde, sondern ziehen weiter an der Südfront der
„Kathedralstadt“, vorbei an der Außenseite des Kreuzgangs, des Kapitelsaals,
erreichen die Ostseite mit der Sakristei, Kapellen um Kapellen, und stehen dann
vor der achteckigen Capilla del Condestable: Simon de Colonia, der Sohn des Hans von Köln und seiner spanischen Gemahlin, ist ihr Schöpfer! Edelste
Hochgotik ist hier in Stein geschlagen.
Dann kehren wir auf die schon
vertraute Nordseite der Kathedrale zurück. Während uns bei der Ankunft die
„Pilgertür“ faszinierte, haben wir nun mehr Blick für das Ganze, hier besonders
für die machtvolle Vierung, gekrönt von einem dreigeschossigen Turm mit acht
großen Fialen über der Dachgalerie, 1568 vollendet. Hier war Francesco de
Colonia beteiligt, der Enkel des Hans von Köln. Auf der Nordseite
steigen wir hinab zur plateresken Puerta de la Pellejería. Der Rundgang um die
architektonische Landschaft der Kathedrale von Burgos ist beendet.
Nach der Vielfalt der Eindrücke
an den Außenfronten wirkt das Kircheninnere noch verwirrender. Und doch haben
wir ein Erlebnis, das die Verwirrung auflöst in freudiges Staunen: Wir erhalten
die Erlaubnis, am frühen Morgen nach dem Ankunftstag in Burgos Meßfeier am
Hochaltar der Kathedrale zu halten. So stehen wir am frühen Sonntagmorgen, als
die meisten Landsleute und Touristen noch schlafen, vor dem prachtvollen
Retabel, der hohen Altarwand aus dem 16. Jahrhundert mit ihrer plateresken
Überfülle biblischer Figuren, hoch oben die Krönung Mariens, zwei „Etagen“
tiefer das Gnadenbild der Maria mit dem göttlichen Kind. Hier feiern wir
singend und betend Liturgie, und es ist gewiß so, daß sich die Kunst der
Kathedrale zum tiefen Erlebnis erst in der liturgischen Funktion auftut. —
Alles beginnt zu leben und zu leuchten im Kerzenlicht des Altares, im
gregorianischen Gesang, im einfallenden Sonnenglanz des jungen Tages: Bilder,
Formen, Weite des Hauptschiffes, Pracht und Eleganz der achtstrahligen
Vierungskuppel, Drastik des Chorgestühls — und natürlich die geheimnisvolle
Majestät der Königstreppe, der Escaleria dorada, die wir schon kennen, aber in
dieser Morgenstunde buchstäblich „in neuem Licht“ sehen. Das ist dann kein
„l’art pour l’art“, nicht Kunst um ihrer selbst willen, sondern
höchstvollendete „Kultur“ als Dienerin des „Kultes“.
Zum erwähnenswerten
künstlerischen Umfeld von Burgos gehören das Karthäuserkloster, die „Cartuja de
Miraflores“, und das Benediktinerkloster Santo Domingo de Silos, von dem wir
schon sprachen.
Miraflores liegt
Weitere Kostenlose Bücher