Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
ein paar tramezzini mitbringen?«
Riverre lächelte. »Selbstverständlich, Commissario. Möchten Sie etwas Bestimmtes?« Als Brunetti zögerte, schlug Riverre vor: »Mit Krabben? Mit Ei?«
Genau die beiden würden bei dieser Hitze am ehesten schlecht werden, aber Brunetti sagte nur: »Nein, vielleicht Tomate und Schinken.«
»Wie viele, Signore? Vier? Fünf?«
Großer Gott, wofür hielt der ihn? »Nein danke, Riverre. Zwei sollten reichen.« Als er sein Portemonnaie aus der Tasche ziehen wollte, hob Riverre beide Hände wie ein Christ beim Anblick des Teufels. »Nicht doch, Signore. Wo denken Sie hin.« Er ging zur Tür und rief über die Schulter zurück: »Ich bringe auch etwas Mineralwasser mit, Signore. Bei der Hitze muss man viel trinken.«
Brunetti dankte Riverres entschwindendem Rücken und dachte bei sich: Kinder und Narren sagen immer die Wahrheit.
Der Internetbrowser des Computers war noch an, und Brunetti tippte mit vier Fingern »oroscopo« in die Suchmaschine.
Als Riverre gut eine Stunde später zurückkam, saß Brunetti immer noch am Computer, jetzt allerdings beträchtlich klüger als zuvor. Eine Seite hatte zur andern geführt, er war vom Hölzchen aufs Stöckchen gekommen und hatte in dieser kurzen Zeit eine Welt des Glaubens oder Aberglaubens bereist, die derart von Scharlatanen bevölkert war, dass einem Hören und Sehen verging. »Horoskop« hatte ihn zu »Weissagung« geführt, von dort ging es weiter zu »Kartenleger«, von dort zu »Hellseher«, »Handlinienleser« und einem endlosen Verzeichnis von Ratgebern in allen möglichen Lebenslagen. Er fand auch eine lange Liste mit interaktiven Seiten, auf denen man gegen Bezahlung in Echtzeit Kontakt zu »Astralberatern« aufnehmen konnte.
Manche widmeten sich geschäftlichen oder finanziellen Belangen; andere befassten sich mit Liebesdingen; oder es ging um Schwierigkeiten bei der Arbeit oder mit Kollegen; wiederum andere versprachen Hilfe bei der Kontaktaufnahme mit verstorbenen Verwandten und Freunden. Oder Haustieren. Einige boten astrale Unterstützung für Leute an, die abnehmen, die mit dem Rauchen aufhören oder vermeiden wollten, sich in den Falschen zu verlieben. Seltsamerweise fand Brunetti trotz gezielter Suche niemanden, der astrale Hilfe gegen Drogensucht anbot, abgesehen von einer Seite, die Eltern aufzuklären versprach, welches ihrer Kinder am ehesten gefährdet war: Das könne man alles den Sternen entnehmen.
Brunetti hatte Jura studiert, und auch wenn er weder das Staatsexamen gemacht noch jemals als Jurist gearbeitet hatte, widmete er der Sprache der Juristen, ihren Vorzügen und Tücken, seit Jahrzehnten große Aufmerksamkeit. Bei seiner Arbeit stieß er immer wieder auf absichtlich irreführende Behauptungen und Vertragsformulierungen und hatte so im Lauf der Zeit die Fähigkeit entwickelt, Lügen zu entlarven, ganz gleich, wie raffiniert sie getarnt waren und wie erfolgreich die Sprache, in die sie verpackt waren, jegliche Haftung für falsche Angaben oder Versprechungen ausschloss.
Was er hier im Internet las, stammte von Experten: Sie machten Hoffnung, ohne Versprechen abzugeben, die spitzfindige Zeitgenossen als verbindlich interpretieren könnten; sie nährten Gewissheit, sicherten aber nie etwas Konkretes zu; sie verhießen Seelenfrieden und verlangten dafür Glauben.
Und Bezahlung? Krasse Profitgier? Wollten sie Geld für ihre Dienste? Schon die Frage war absurd. Wahrscheinlich sogar beleidigend für die Leute, die ihre Dienste zu Nutz und Frommen der geplagten Menschheit anboten. Was bedeuteten schon neunzig Cent die Minute für einen Menschen in Not, wenn er am anderen Ende einer Telefonleitung Hilfe bekam? Die Chance, direkt mit einem Profi zu reden, der dazu ausgebildet war, die Probleme und Kümmernisse eines Menschen zu verstehen, der dick/dünn/geschieden/ unverheiratet/verliebt/nicht verliebt/einsam/in einer unglücklichen Beziehung gefangen war – diese Chance sollte einem nicht neunzig Cent die Minute wert sein? Außerdem bestand in manchen Fällen die Möglichkeit, mit seinem Anruf live ins Fernsehen geschaltet zu werden, wodurch man seinen Namen und sein Problem einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen und allgemeines Mitgefühl und Verständnis für sich und seinen Kummer erhoffen durfte.
Brunetti konnte so viel Einfallsreichtum nur bewundern. Er rechnete das mal durch. Bei neunzig Cent die Minute kostete ein zehnminütiges Gespräch neun Euro, eine Stunde vierundfünfzig. Angenommen, zehn
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