Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
San Giorgio gegenüber um Rat. »Ich würde es machen«, sagte Brunetti schließlich und nickte bestätigend, sehr zur Verwirrung von zwei spärlich bekleideten Mädchen, die zwischen ihm und dem Fenster saßen.
Er ging direkt zu Signorina Elettras Büro, in dem es, wie zu erwarten, noch heißer war als am Tag zuvor. Heute trug sie eine gelbe Bluse, schien aber immer noch unberührt von der Hitze.
»Ah, Commissario«, sagte sie, als er eintrat, »ich habe Ihren Signor Gorini gefunden.«
»Die Muse der Ermittelnden«, sagte Brunetti lächelnd.
»Signor Gorini, laut seiner carta d’identità vierundvierzig Jahre alt«, sie schob ihm ein Blatt Papier hin, »wurde in Salerno geboren und besuchte dort zwischen dem achtzehnten und zweiundzwanzigsten Lebensjahr das Priesterseminar der Franziskaner.«
Sie sah mit einem triumphierenden Lächeln auf. Brunetti lächelte ebenso triumphierend zurück.
»Danach gibt es eine Lücke von vier Jahren, bis er als klinischer Psychologe in Aversa wieder auftaucht.« Sie sah Brunetti an, ob er ihr folgen konnte. Er nickte aufmunternd.
»Dort heiratete er und bekam einen Sohn, Luigi, der mittlerweile sechzehn ist.« Sie schnippte ein Staubkörnchen von dem Papier und las weiter vor.
»Nachdem er fünf Jahre lang in Aversa praktiziert hatte – wenn man so sagen kann –, stellte sich heraus, dass er weder eine Zulassung noch einen Abschluss als Psychologe hatte beziehungsweise, soweit die örtliche Gesundheitsbehörde das damals ermitteln konnte, überhaupt keinerlei Ausbildung in Psychologie.«
»Was ist aus ihm geworden?«
»Seine Praxis wurde geschlossen, und er wurde zu drei Millionen Lire Strafe verurteilt. Aber die hat Signor Gorini nie bezahlt, weil er sich aus Aversa verdrückt hat.«
»Und seine Frau? Und der Sohn?«
»Wie es aussieht, haben die beiden nie mehr von ihm gehört.«
»Offenbar war er für das Leben im Kloster besser geeignet«, bemerkte Brunetti.
»Eindeutig«, stimmte sie zu und legte das Blatt beiseite. Darunter lagen noch einige.
»Vor acht Jahren wurde er erneut aktenkundig, als sich herausstellte, dass sein Institut in Rapallo, das sich auf die Integration von Flüchtlingen aus Osteuropa in den Arbeitsmarkt spezialisiert hatte, in Wirklichkeit bloß eine Art Unterkunft für Einwanderer war: Er besorgte ihnen Jobs, und solange sie arbeiteten, konnten sie dort wohnen.«
»Was hatte er davon?«
»Sie mussten ihm 60 Prozent ihres Lohns abliefern, hatten dafür aber immerhin ein Dach überm Kopf.«
»Mahlzeiten?«
»Sie scherzen wohl, Dottore. Er wollte ihnen doch auch etwas über das Leben in einer kapitalistischen Gesellschaft beibringen.«
»Jeder ist sich selbst der Nächste«, sagte Brunetti.
»Eine Hand wäscht die andere«, erwiderte sie. »Obwohl man in diesem Fall hoffen möchte, dass es nicht stimmt. Immerhin durften sie in ihrer Unterkunft kochen.«
»Wenigstens etwas«, sagte Brunetti. »Und weiter?«
»Eine der Frauen ist zu den Carabinieri gegangen. Sie war Rumänin, also konnte sie sich verständlich machen. Hat ihnen erzählt, was da ablief, woraufhin sie dem Institut einen Besuch abgestattet haben. Aber Signor Gorini war wieder einmal verschwunden.«
»Ist er die ganze Zeit unter seinem richtigen Namen aufgetreten?«, fragte Brunetti.
»Und ob«, sagte sie. »Anscheinend hat sich niemand daran gestört.«
»Glück für Sie, dass er das getan hat«, sagte er und fügte, als er ihre Reaktion bemerkte, rasch hinzu: »Obwohl ein anderer Name für Sie auch keinen großen Unterschied gemacht hätte. Dann hätten Sie höchstens ein wenig länger gebraucht.«
»Minimal«, sagte sie, und Brunetti glaubte ihr.
»Und seither?«, fragte er.
»Ein paar Jahre lang keine Spur von ihm, dann, vor fünf Jahren, hat er eine Praxis als Homöopath aufgemacht, diesmal in Neapel, aber«, und hier sah sie auf und schüttelte verwundert den Kopf, »nach zwei Jahren hat jemand seine Bewerbungsunterlagen überprüft und dabei festgestellt, dass er niemals Medizin studiert hatte.«
»Und weiter?«
»Die Praxis wurde geschlossen.« Mehr nicht. Vielleicht war es in Neapel kein Verbrechen, ohne Zulassung als Arzt zu praktizieren.
»Vor zwei Jahren«, fuhr sie fort, »wechselte er seinen Wohnsitz zu der Adresse, die Sie mir genannt haben, aber der Mietvertrag ist nicht auf seinen Namen ausgestellt.«
»Sondern auf wen?«
»Eine Frau. Elvira Montini.«
»Und?«
»Sie arbeitet als Laborantin im Ospedale Civile.«
»Vielleicht ist er ehrlich
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