Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
geworden«, meinte Brunetti.
Sie zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.
»Haben Sie irgendeinen Hinweis darauf gefunden, was er jetzt macht?«
»Nach meinen Recherchen sieht es so aus, als könnte er ein beschauliches Leben führen und gute Werke tun«, sagte sie.
»Aber Vianellos Tante scheint große Geldbeträge bei ihm abzuliefern«, sagte Brunetti skeptisch. »Oder jedenfalls bei einer der Personen, die in dieser Wohnung leben«, korrigierte er sich. »Der Hauseingang gehört nur zu dieser einen Wohnung.«
»Darum also macht Vianello sich solche Sorgen«, sagte Signorina Elettra. Anteilnahme sprach aus jedem ihrer Worte.
»Das geht schon seit einer ganzen Weile so.«
Brunetti überlegte laut, ob er seine Beziehungen spielen lassen sollte: »Ich könnte Dottor Rizzardi fragen. Er muss die Leute kennen, die im Labor arbeiten.«
Sie hüstelte kaum hörbar, doch für Brunetti war es ein überdeutliches Signal. »Sie haben bereits mit ihm gesprochen?«
»Ja, Signore.« Sie kam seiner Frage zuvor: »Ich habe mir erlaubt, mich bei ihm zu erkundigen.«
»Aha?«, entfuhr es ihm. »Und?«
»Elvira Montini ist die zuverlässigste Person in dem ganzen Betrieb«, antwortete sie. Brunetti wich ihrem Blick aus. »Sie arbeitet dort seit fünfzehn Jahren. Nicht verheiratet, höchstens mit ihrer Arbeit.«
Um sie beide davon abzulenken, wie gut diese Beschreibung, von der Zahl der Jahre einmal abgesehen, auch auf Signorina Elettra passte, fragte Brunetti schnell: »Und wie erklärt sich dann die Anwesenheit von Signor Gorini in ihrem Haus?«
»Gute Frage. Der Arzt hat, als ich nachhakte, ziemlich zurückhaltend reagiert. Als wollte er sie beschützen.«
»Und was haben Sie gemacht?«
»Gelogen, natürlich«, sagte sie gleichmütig. »Ich habe ihm erzählt, meine Schwester kenne eine Frau, die mit ihr im Labor arbeite – was übrigens stimmt –, ich habe sogar ihren Namen genannt. Die Frau hat mit Barbara zusammen Medizin studiert, aber keinen Abschluss gemacht. Ich sagte, sie habe nur Gutes von Signorina Montini erzählt, finde aber, seit ungefähr einem Jahr sei sie irgendwie anders.«
Die Erklärung lieferte sie gleich selbst: »Jede Frau, die zwei Jahre lang mit einem solchen Mann zusammenlebt, muss sich irgendwie verändern, und nicht zum Besseren.«
»Was hat er gesagt?«
»Dass an ihrer Arbeit nach wie vor nichts auszusetzen sei, und dann hat er das Thema gewechselt.«
»Verstehe«, sagte Brunetti. »Möchten Sie Ihre Schwester bitten, mit ihrer Kommilitonin zu reden?«
Signorina Elettra schüttelte heftig den Kopf und senkte den Blick auf die Tischplatte. »Die reden nicht miteinander.« Mehr war ihr nicht zu entlocken.
»Was noch?«, fragte er und wies auf die Papiere, die noch vor ihr lagen.
»Signor Gorini hat ein Konto bei der UniCredit.« Sie reichte ihm einen Ausdruck mit den Kontobewegungen der letzten sechs Monate. Brunetti sah sich die Zahlenkolonnen an, suchte nach einem Muster, fand aber keins. Ein- und Auszahlungen, immer in bar und nie mehr als fünfhundert Euro, Monat für Monat. Der aktuelle Kontostand belief sich auf weniger als zweitausend Euro.
»Irgendein Hinweis darauf, wovon er lebt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat er großzügige Freunde, vielleicht füttert Signorina Montini ihn durch, oder, wer weiß das schon, vielleicht gewinnt er ja beim Roulette oder beim Kartenspiel. Das Geld kommt rein und geht weg, und die ein- und ausgezahlten Beträge sind immer so niedrig, dass sie nicht den leisesten Verdacht erwecken.«
»Kreditkartenabrechnungen?«, fragte Brunetti.
»Anscheinend hat er keine.«
»Mirabile dictu«, sagte Brunetti. »Und das im neuen Jahrtausend.«
»Aber er könnte ein telefonino haben«, sagte Signorina Elettra. »Das erfahre ich frühestens heute Nachmittag, vielleicht auch erst morgen.«
Sie bemerkte Brunettis Überraschung und erklärte: »Giorgio hat Urlaub.«
»Also müssen Sie jemand anders fragen?«
Die Verblüffung über sein mangelndes Verständnis für Kundentreue stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Nein, er will es von Neufundland aus versuchen, weiß aber nicht, ob er mir das heute noch mailen kann. Er sagte, es könnte schwierig werden, sich von dort aus in die Telefongesellschaft einzuklinken.«
»Verstehe«, sagte Brunetti, der nicht mehr mitkam. »Ich überlege, wie wir sein Haus im Auge behalten könnten.«
»Ich habe es mir in Calli, Campi e Campielli angesehen, Signore, und danach dürfte es nicht ganz einfach
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