Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
unbehandeltes Ekzem.
Er sah die Polizeibarkasse unmittelbar vor dem Bahnhof vertäut liegen und eilte die Treppe hinunter. Im Speisewagen war es so komfortabel gewesen, dass es ein paar Augenblicke dauerte, bis die Hitze zu ihm durchdrang. Noch bevor er das Boot erreicht hatte, klebte ihm das Hemd am Rücken, und dann stellte er verärgert fest, dass seine neue Sonnenbrille im Koffer geblieben und wohl inzwischen in 1450 Meter Höhe über dem Meeresspiegel auf der Alp oberhalb von Glurns eingetroffen war.
Er nickte Foa, dem Bootsführer, zu, stieg an Bord und gab Griffoni die Hand. Dank ihrer sonnengebräunten Haut wirkten ihre Haare noch blonder, die Beine unter ihrem kurzen Rock waren bronzefarben. Kein Mensch hätte in ihr eine Polizistin im Dienst vermutet. Foa machte die Leinen los, ging in die Kabine und startete den Motor.
»Vianello?«, fragte Brunetti.
»Ist schon zurück. Wartet in der Wohnung des Opfers auf uns. Er hat keine drei Stunden gebraucht.«
Brunetti lächelte. Auch wenn die Aktion Vianellos Urlaubspläne durchkreuzte – auf einem Boot der Küstenwache mit Vollgas über die Adria zu jagen war doch immerhin etwas. »Ich wette, das hat er genossen.«
»Wer hätte das nicht?«, sagte sie, und aus ihrer Stimme sprach Neid.
Das Boot bog nach links in den Canale di Cannaregio ein und fuhr nicht allzu schnell unter den beiden Brücken hindurch auf die laguna hinaus. Griffoni erklärte, sie habe mit Dottor Rizzardi gesprochen, der versuchen werde, bis zum Abend aus seinem Haus in den Dolomiten zurück zu sein. Spätestens morgen sei er wieder da.
Griffoni hatte den Toten noch nicht gesehen, da er schon ins Krankenhaus gebracht worden war, bevor Scarpa sie überhaupt von dem Verbrechen benachrichtigte. Brunetti erkundigte sich eingehend nach Scarpas Verhalten und wie er auf die Mitteilung reagiert habe, dass sowohl er als auch Vianello ihren Urlaub abbrechen würden, um den Fall zu übernehmen.
»Das habe ich ihm nicht erzählt«, sagte Griffoni.
»Er denkt also, das ist sein Fall?«, fragte Brunetti.
»Seiner und meiner, aber da ich ja nur eine Frau bin, zähle ich offenbar nicht mit.« Sie waren draußen auf dem Deck geblieben, in der Hoffnung, ein wenig Fahrtwind abzubekommen, und die Brise trug manche ihrer Worte davon. Brunetti sah sich Griffoni noch einmal an. In der Tat, sie war eine Frau, aber niemals hätte er dieser Bezeichnung ein »nur« vorangestellt. »Meine Ankunft wird ihn also überraschen«, sagte Brunetti nicht ohne Genugtuung.
»Und hoffentlich auch ärgern«, sagte sie mit der Häme, die Tenente Scarpa bei jedem mit Charakter entfachte, der ihn kannte, und wenn auch noch so kurz.
Das Wasser in diesem Teil der laguna war erstaunlich unruhig, die beiden mussten sich an der Reling festhalten, um nicht hin und her geworfen zu werden. Foa gab trotzdem Vollgas, und bei dem Lärm war eine weitere Besprechung nicht möglich. Brunetti sah nach links, sein Blick hüpfte von Murano nach Burano und zum Glockenturm von Torcello, der in der diesigen Luft kaum zu erkennen war.
Sie bogen rechts ab, passierten einen Kanal und bogen in den nächsten ein. Brunetti sah den Kamelführer und fragte: »Was machen wir in der Misericordia?«
»Er wohnt gleich dort drüben, links.«
»Oddio«, rief Brunetti. »Doch nicht etwa Fontana?«
»Ich habe Ihnen seinen Namen am Telefon genannt«, beteuerte Griffoni.
Brunetti erinnerte sich an die Aussetzer und Störgeräusche während des Gesprächs und sagte: »Ja, natürlich.«
»Sie kennen ihn?«, fragte sie interessiert.
»Nein. Aber ich weiß von ihm.«
»Hat beim Tribunale gearbeitet, richtig?«, fragte sie.
Das Boot bremste ab, und Brunetti sagte nur »Ja«, bevor er nach vorn ging und die Leine nahm. Als Foa zum Halten kam, stieg Brunetti aufs Pflaster und band die Leine an einem Eisenring fest. Dann reichte er Griffoni die Hand und half ihr aus dem Boot; Foa sagte, er wolle sich vor der Sonne in eine Bar verziehen, und bat sie, ihn zu rufen, wenn sie fertig wären.
Sie ging voran: zur ersten Brücke, darüber hinweg und die erste calle rechts hinauf. Dann das dritte Haus rechts: ein großer brauner portone, daneben Namensschilder und Klingelknöpfe.
Griffoni hatte einen Schlüssel; sie betraten einen großen Innenhof mit vielen Palmen und Sträuchern in Töpfen; die hintere Seite lag bereits im Schatten. Dort bewegte sich etwas. Ein junger Beamter, einer der Neuen, sprang auf und salutierte vor den beiden Commissari. Dann sah
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