Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
und frisch genug, dass du den ganzen Tag im Pullover rumlaufen kannst.«
»Wie ist es bei dir?«
»Heiß.«
»Iss jetzt was, Guido.«
»Mach ich«, antwortete er, verabschiedete sich und legte auf.
18
Am nächsten Tag war es womöglich noch heißer, und als Brunetti kurz nach sechs in feuchten Laken aufwachte, glaubte er, sich vage zu erinnern, mehrmals in der Nacht wach gelegen zu haben. Da keine Vertreter der Wasserpolizei anwesend waren, genehmigte er sich den Luxus einer ausgiebigen Dusche, erst warm, dann kalt, dann wieder warm. Schlimmer noch, er rasierte sich sogar unter der Dusche – ein ökologischer Exzess, der ihm heftige Vorwürfe seiner beiden Kinder eingebracht hätte.
Statt zu Hause trank er den ersten Kaffee in irgendeiner Bar, dann ging er im Ballarin frühstücken, Cappuccino und Cornetto. Er hatte sich an seinem Kiosk die Zeitungen besorgt, und in der Pasticceria legte er jetzt den zweiten Teil des Gazzettino vor sich auf den runden Tisch. Schlürfend las er die Schlagzeile: »Gerichtsangestellter ermordet«. Nun, das ging ja noch. In dem zunächst erstaunlich korrekten Artikel wurden die Zeit der Entdeckung der Leiche und die wahrscheinliche Todesursache genannt.
Dann aber kam das, was Brunetti bei sich den » Gazzettino -Modus« nannte. Die Kollegen des Opfers erzählten von seinen vielen Tugenden, seinem Ernst, seiner Hingabe an die Sache der Justiz, von seiner armen Mutter, einer Witwe, die jetzt den Tod ihres einzigen Sohns zu beklagen habe. Und dann, wie immer, einige infame Andeutungen – sorgsam verpackt ins unscheinbare Gewand harmloser Spekulation – zu den möglichen Hintergründen dieses furchtbaren Verbrechens. Ob das Opfer an den Folgen gewisser Praktiken gestorben sein könnte? Hatte seine Arbeit bei Gericht ihm Zugang zu Informationen verschafft, die sich als gefährlich entpuppt hatten? Nichts wurde behauptet, aber alles Mögliche angedeutet.
Brunetti faltete die Zeitung zusammen, zahlte und begab sich bei zunehmender Hitze zur Arbeit. Er kam deutlich vor acht in der Questura an und machte als Erstes eine Liste der Dinge, an die er zu denken hatte: zunächst die Autopsie, die hatte man eventuell schon abgeschlossen. Dann die Verwandten Fontanas: Vielleicht hatte Vianello welche ausfindig machen können. Außerdem brauchte er die Namen aller Beteiligten an den Prozessen, in denen Richterin Coltellini ihre Entscheidungen so lange hinausgezögert hatte. Und wieso verlangte Signor Puntera von Fontana und seiner Mutter nur eine so lächerlich niedrige Miete?
Er trat an sein Fenster, vor dem schlapp und wie tot der Vorhang hing, und beratschlagte sich mit der Fassade von San Lorenzo über die beste Vorgehensweise.
Plötzlich konnte er seine Ungeduld nicht mehr bezwingen und rief im Ospedale Civile an, wo er erfuhr, dass Dottor Rizzardi den ganzen Vormittag lang da sein werde. Brunetti ließ dem Doktor ausrichten, er komme gleich zu ihm, und verließ die Questura. Als er den Campo SS . Giovanni e Paolo erreichte, klebten ihm Jackett und Hemd am Rücken, und seine Füße scheuerten sich in den Schuhen wund. Beim Überqueren des offenen Platzes musste er sich fragen, ob er wirklich zurechnungsfähig gewesen war, als er sich entschieden hatte, zu Fuß zu gehen.
In Rizzardis Büro sagte man ihm, der Doktor sei noch in der Pathologie. Dieses Wort allein vertrieb schon ein wenig von der Hitze; und die Luft, die ihn beim Betreten des Raums umfing, verjagte den Rest. Hemd und Jackett klebten zwar immer noch, aber die damit verbundene Empfindung war eher kühl bedrohlich als lästig.
Erleichtert registrierte er, dass Rizzardi bereits an der Spüle stand und sich die Hände wusch. Die Spülbecken in diesem Raum waren sehr tief und vorne weit abgesenkt, eine Tatsache, die Brunetti immer mit einer diffusen Unruhe erfüllt hatte, auch wenn er nie nachgefragt hatte.
»Ich dachte, ich komme mal rüber«, sagte Brunetti. Er sah sich um: Links neben Rizzardi lagen drei zugedeckte Körper. »Ich wollte mich nach Fontana erkundigen.«
»Ja«, sagte Rizzardi und wischte sich die Hände an einem grünen Handtuch ab. Sorgfältig trocknete er jeden einzelnen Finger einer Hand, dann nahm er das Handtuch auf die andere Seite und wiederholte das Ganze. »Er starb an drei Schlägen gegen den Kopf. Falls also jemand bei euch da drüben meint, er sei durch einen Sturz zu Tode gekommen, könnt ihr das vergessen: Er ist nicht dreimal hintereinander gestürzt.« Der Doktor war mit Händetrocknen
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