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Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Titel: Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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blitzschnelle Frage des Mannes »Hat er überhaupt schon die Scheidung eingereicht?« nicht nur Brunetti erschreckte, sondern auch der Frau ein Aufstöhnen entlockte.
    Das Geräusch ihres Atems erfüllte das Studio, den Äther. »Was sagen die Karten?«, wimmerte sie.
    Der Mann hatte die ganze Zeit so ruhig dagesessen, dass seine Bewegung, als er Anstalten machte, vor der Kamera die restlichen Karten aufzudecken, für Brunetti ziemlich überraschend kam. »Wollen Sie wirklich wissen, was die Karten Ihnen zu sagen haben, Signora?«, fragte er und klang jetzt nicht mehr so teilnahmsvoll.
    »Nach einer langen Pause sagte sie: »Ja. Ja. Ich muss es wissen.« Wieder rang sie nach Luft.
    »Also gut, Signora, aber vergessen Sie nicht: Ich habe Sie gewarnt.« Er sprach so ernst wie ein Arzt, der einen Patienten fragt, ob er die Ergebnisse der Laboruntersuchungen wissen will.
    »Ja, ja«, wiederholte sie flehend.
    »Va bene«, sagte er und legte die Finger aneinander. Langsam nahm er mit der Rechten die oberste Karte von dem Päckchen. Die Kamera fuhr um ihn herum, dann in die Höhe, zeigte jetzt nicht sein Gesicht, sondern die Karten von oben. Er hielt die Karte ein paar Sekunden lang vor sich hin und drehte sie dann langsam um: der Joker.
    »Der Herr der Lügen, Signora«, sagte der Mann. Seine Stimme fiel über sie her: absolut ruhig, emotionslos, neutral. Erbarmungslos.
    Als Vianello die Füße auf den Boden schwang, zuckte Brunetti zusammen. »Mein Gott, was für ein raffinierter Fuchs«, sagte der Inspektor und beugte sich vor, um den Bildschirm auszuschalten.
    Erst Vianellos abrupte Aktion ließ Brunetti erkennen, wie gebannt er den Wortwechsel zwischen den beiden verfolgt hatte. Wie leidenschaftslos dieser Mann, ein Experte für die Mysterien des menschlichen Herzens, Schwäche und Selbstbetrug aufgedeckt hatte. Gedankenlose Zuschauer mussten zu dem Schluss kommen, dass dieser Mann die Antworten auf alle Fragen, die sie kaum sich selbst zu stellen wagten, in seinen Händen hielt.
    Doch was hatte der Mann denn eigentlich getan? Einzig das Zögern und Stocken der Frau hinter ihren Ausflüchten und Rechtfertigungen herausgehört! Um ihren Geliebten als Betrüger zu entlarven, hätte er statt Tarockkarten ebenso gut Kronkorken lesen können.
    »Der Herr der Lügen«, stieß Brunetti hervor.
    Vianello lachte auf. »Dass er sie betrügt, hätte meine Mutter ihr auch sagen können, wenn sie in der Schlange im Supermarkt hinter ihr gestanden und mitbekommen hätte, wie sie jemandem ihre Geschichte erzählt.«
    Zucchero wollte etwas bemerken, zögerte aber. Erst als Brunetti dem jungen Mann ein Zeichen gab, sagte er: »Aber die Karten helfen, Ispettore. Auf die Weise sieht es so aus, als käme die Antwort aus einer anderen, mystischen Welt, beruhe nicht nur auf dem gesunden Menschenverstand.«
    Brunetti hatte in der Zwischenzeit über weitere Parallelen nachgedacht, verwarf den Vergleich mit den Kronkorken und sagte: »Genau das haben schon die Auguren getan: Sie haben ein Tier aufgeschnitten und seine Innereien interpretiert, stets darauf bedacht, sich mehrdeutig auszudrücken. Und wenn dann eingetreten war, was eintreten sollte, konnten sie ihre Voraussage aus der Rückschau als richtig hinbiegen.«
    »›Der Herr der Lügen‹«, wiederholte Vianello nicht weniger verächtlich. »Und die arme Frau zahlt einen Euro pro Minute, um sich das anzuhören.« Er sah auf die Uhr. »Wir haben uns das ungefähr acht Minuten lang angesehen.« Er drückte eine Taste, und der Bildschirm ging wieder an. »Mal sehen, ob er sie immer noch am Haken hat.«
    Aber das Mondgesicht hatte schon das nächste Opfer in der Leitung, diesmal kommunizierte er mit einer Männerstimme. »…halte das nicht für klug, aber er ist mein Schwager, und meine Frau möchte, dass ich es mache.«
    »Kannst du den Ton abstellen?«, fragte Brunetti.
    Vianello fuhr zu ihm herum. »Was?«
    »Den Ton abstellen«, wiederholte Brunetti.
    Vianello beugte sich vor und stellte den Ton erst leiser, dann komplett aus, so dass sie nur noch das Mondgesicht sahen, wie es sich abwechselnd den Karten und der Kamera zuwandte. Nachdem sie das einige Minuten lang beobachtet hatten, sagte Brunetti: »Das mache ich immer so bei den Filmen im Flugzeug. Die Kopfhörer weglassen. Dann sieht man, wie inszeniert die Gebärden und Reaktionen sind. Schauspieler benehmen sich ganz anders als die Leute am Nebentisch im Restaurant oder die auf der Straße. Vollkommen unnatürlich.«
    Die drei

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