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Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Titel: Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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auf, biss die Hälfte davon ab und fragte: »Für welchen meiner Klienten interessieren Sie sich?«
    Bevor Brunetti antworten konnte, klopfte jemand Penzo auf den Rücken und sagte: »Füttern sie dich, oder verhaften sie dich, Renato?« Aber das war im Scherz gemeint und wurde auch so aufgefasst, und Penzo aß erst einmal den Rest seiner Olive auf. Dann warf er den Zahnstocher auf den Teller und griff nach seinem Wein.
    »Zinka«, sagte Brunetti. Er wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, warum er sich ausgerechnet für diese Frau interessierte, als Penzos Züge ein Schmerz durchzuckte, der ihn innehalten ließ. Der Anwalt schloss kurz die Augen, machte sie dann wieder auf und trank einen Schluck Wein.
    Er stellte das Glas hin, nahm sein zweites Sandwich und drehte sich zu Brunetti um. »Zinka?«, fragte er unbekümmert. »Wie kommen Sie gerade auf die?«
    Brunetti trank einen Schluck Wasser und griff so lässig nach seinem zweiten Sandwich, als habe er Penzos Reaktion nicht mitbekommen. »Es geht uns nicht direkt um sie, sondern um etwas, das sie gesagt hat.«
    »Ach? Was denn?«, fragte Penzo, der sich wieder gefangen hatte. Er hob das Sandwich an den Mund, legte es dann aber wieder auf den Teller zurück.
    Vianello sah zu Brunetti hinüber, zog die Augenbrauen hoch und trank seinen Wein aus. »Möchte jemand noch einen?«, fragte er.
    Brunetti nickte; Penzo verneinte.
    Vianello ging zur Theke. Brunetti stellte sein leeres Glas hin und sagte: »Sie hat von einem Streit erzählt, den ihr Arbeitgeber mit einem seiner Nachbarn hatte.«
    Penzo hielt den Blick auf sein Sandwich gesenkt und fragte höflich: »Ach, hat sie das?«
    »Mit Araldo Fontana«, sagte Brunetti. Inzwischen hätte Penzo ihn eigentlich mal ansehen können, aber er zog es vor, weiter sein Sandwich anzustarren, als spreche dieses, und nicht Brunetti, mit ihm. »Und sie sagt, Signor Fontana habe auch mit dem Mann im obersten Stock Streit gehabt.« Brunetti ließ etwas Zeit verstreichen und sagte schließlich: »Man könnte sagen, dass Signor Fontana mit allen im Haus Streit gehabt hat.«
    Penzo antwortete nicht. »Trotzdem sagt Signora Zinka – und sie scheint mir eine recht vernünftige Frau zu sein –«, fügte Brunetti hinzu, »Signor Fontana sei ein guter Mensch gewesen.« Brunetti sah zur Theke hinüber, wo Vianello mit dem Rücken zu ihnen stand und an einem Glas Weißwein nippte.
    Wäre die Bar so voll wie an normalen Tagen gewesen, hätte Penzos Stimme sich nicht gegen den Lärm durchsetzen können, so leise sagte er jetzt: »Das war er.«
    »Freut mich, dass Sie das bestätigen«, antwortete Brunetti. »Das macht zwar seinen Tod umso bedauerlicher, sein Leben aber besser.«
    Penzo hob langsam den Kopf und sah Brunetti an. »Was haben Sie gesagt?«, fragte er.
    »Dass er als guter Mensch ein besseres Leben gehabt hat«, wiederholte Brunetti.
    »Und es seinen Tod desto bedauerlicher macht?«
    »Ja«, sagte Brunetti. »Aber das zählt ja nicht. Wichtig ist allein das Leben davor. Was die Leute in Erinnerung behalten.«
    »Die Leute werden nur in Erinnerung behalten«, sagte Penzo sehr leise, aber mit hörbarem Zorn in der Stimme, »dass er schwul war und von irgendeinem Freier, den er abschleppen wollte, unten auf dem Hof getötet wurde.«
    »Entschuldigen Sie.« Brunetti konnte seine Verblüffung nicht verbergen. »Wo haben Sie denn das gehört?«
    »Im Tribunale, in den Büros, auf den Fluren. So reden die Leute. Dass er eine Schwuchtel war, einer, der auf gefährlichen Sex stand und von einem seiner namenlosen Freier getötet wurde.«
    »Das ist doch absurd«, sagte Brunetti.
    »Natürlich ist das absurd«, fauchte Penzo. »Aber das hält die Leute nicht davon ab, es zu behaupten. Und es wird sie auch nicht davon abhalten, es zu glauben.« Seine Stimme bebte vor Zorn, aber jetzt beugte er sich wieder über seinen Teller, so dass Brunetti ihm nicht mehr ins Gesicht sehen konnte.
    Unter anderen Umständen hätte Brunetti einem so erregten Gegenüber beschwichtigend eine Hand auf den Arm gelegt, aber irgendwie hatte er das Gefühl, das könnte falsch verstanden werden, und ließ es sein. Und plötzlich war ihm klar, was das alles nur bedeuten konnte, und er beschloss, das Risiko einzugehen, mit einem einzigen Satz das Vertrauen seines Gegenübers zu verlieren: »Sie müssen ihn sehr geliebt haben.«
    Penzo hob den Kopf und starrte Brunetti an wie angeschossen. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, leergefegt von Brunettis Bemerkung.

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