Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
Er versuchte etwas zu sagen, und Brunetti ahnte, was hinter dieser Miene vorging: Jahrelang hatte Penzo mit der Lüge gelebt, und jetzt drängte es ihn, ein verwirrtes Gesicht zu machen und Brunetti zu fragen, wie er dazu komme, so etwas zu behaupten – so sehr war er es gewohnt, Fontanas Namen wie jeden anderen zu behandeln, den Mann nicht anders als alle anderen Kollegen.
»Wir haben uns im liceo kennengelernt. Vor fast vierzig Jahren«, sagte Penzo und griff nach seinem Wasser. Er legte den Kopf zurück und trank das Glas mit vier großen Schlucken aus. Und als habe das Wasser sein Gespräch mit Brunetti wieder auf den Boden des rein Geschäftlichen zurückgeholt, fragte er: »Was möchten Sie über ihn wissen, Commissario?«
Brunetti kam auf seine ursprüngliche Frage zurück. »Können Sie sich denken, warum Signor Fontana Streit mit seinen Nachbarn hatte?«
Statt darauf zu antworten, bat Penzo: »Könnten Sie mir bitte noch ein Glas Wasser bringen?« Als Brunetti sich zur Bar umdrehte, fügte Penzo hinzu: »Sie können den Inspektor ruhig wieder herholen.«
Brunetti tat beides. Als Penzo das neue Glas halb ausgetrunken hatte, sagte er zu Brunetti: »Araldo hat mir erzählt, er glaube, die Leute im Haus – beide Mietparteien – hätten ihre Wohnungen als Gegenleistungen für irgendwelche Gefälligkeiten bekommen. Von dem Vermieter.«
»Signor Puntera?«, fragte Brunetti.
»Ja.« Penzo sah zu Boden. »Das ist eine sehr komplizierte Geschichte.«
Brunetti nickte Vianello zu, und der Inspektor sagte: »Wir haben es nicht eilig, Avvocato. Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
Penzo verzog den Mund und sah Brunetti an. »Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll.«
»Mit seiner Mutter«, schlug Brunetti vor.
»Ja«, sagte Penzo und zuckte resigniert mit den Achseln, »mit seiner Mutter.« Und dann: »Sie ist Witwe. Sie hat sich in ihren Witwenstand hineingekniet, als sei das ihr Beruf. Araldo war erst achtzehn, als sein Vater starb, und da er das einzige Kind war, hielt er es für seine Pflicht, sich um seine Mutter zu kümmern. Sein Vater war Beamter gewesen; anfangs hatten sie etwas Geld, aber das hat seine Mutter schnell durchgebracht. Hat alles ausgegeben, um den äußeren Schein zu wahren. Araldo sollte auf die Universität gehen, wir wollten beide Jura studieren. Aber dann war kein Geld mehr da, er musste einen Job annehmen, und seine Mutter hielt es für das Sicherste, wenn er Staatsdiener würde, wie sein Vater.«
»Und so ist er zum Tribunale gekommen?«, ergänzte Brunetti.
»Ja. Und hat dort gearbeitet, ist aufgestiegen und befördert worden, und alle – er wusste das selbst – haben ihn belächelt, weil er seinen Job immer so ernst genommen hat. Trotzdem war nie Geld genug da, und dann wurde vor fünf Jahren seine Mutter krank, oder jedenfalls glaubte sie das. Und da brauchten sie noch mehr Geld, für Ärzte, Untersuchungen, Medikamente und so weiter.
Die vielen Rechnungen hatten zur Folge, dass er die Miete nicht mehr bezahlen konnte. Ich wollte ihm helfen, aber er hat mich nicht gelassen. Ich hatte es nicht anders erwartet, bot es ihm aber trotzdem immer wieder an. Jedenfalls zogen sie aus Cannaregio in eine finstere kleine Wohnung in Castello. Und sie wurde immer kränker und musste immer öfter zum Arzt.«
»Was fehlte ihr denn?«, fragte Vianello dazwischen.
Penzo zuckte die Schultern. »Ihr fehlt schon was«, sagte er und tippte sich an die Stirn. »Aber die Ärzte konnten nichts finden.«
Er schwieg so lange, dass Brunetti schließlich fragte: »Und weiter?«
»Er ist zu seiner Bank gegangen und hat versucht, einen Kredit aufzunehmen, um die Arztrechnungen zu bezahlen. Dank seiner guten Beziehungen konnte Araldo sogar mit dem Direktor sprechen, aber der sagte ihm, ein Darlehen sei vollkommen ausgeschlossen, da es keine Garantie gebe, dass er es jemals werde zurückzahlen können.«
»Der Bankdirektor war Signor Fulgoni?«, fragte Brunetti.
»Wer sonst?« Penzo lachte bitter auf.
»Verstehe«, sagte Brunetti. »Und dann?«
»Und dann erschien eines Tages wie Venus aus dem Meer oder von einer Wolke herab die Richterin Coltellini in Araldos Büro – das muss vor ungefähr drei Jahren gewesen sein– und sagte, sie habe gehört, er suche eine neue Wohnung.«
Penzo sah die beiden an, um sich zu vergewissern, dass ihnen die Bedeutung dieses Namens nicht entgangen war, und fuhr dann fort: »Araldo wehrte ab, worauf sie sich sehr enttäuscht zeigte, weil, wie sie behauptete, ein Freund
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